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■ Albert HefeleWarum flüchtet Mühlegg nicht gleich nach Portugal? Und wann ist einer gaga?

Daß die Fähigkeit, künstlerisch zu wirken des öfteren mit gewissen Turbulenzen im Oberstübchen einhergeht, ist bekannt. Ja – wird geradezu als unerläßliche Vorbedingung verlangt: „Genie und Wahnsinn“ heißt das vom Laien ehrfürchtig bestaunte Begriffs-Tandem. Beamtenhaft brav und langweilig vor sich hin schaffende Kreative interessieren jedenfalls keinen Menschen, weil: das kann ja wohl nichts Besonderes sein. Je exaltierter sich der Künstler gebärdet, desto besser. In seiner schöpferischen Verwirrung darf er gar alles und wird dafür auch noch bejubelt. Ohren abschneiden (van Gogh) oder doch zumindest lallend Talkshows sprengen (Helmut Berger) sind probate Beispiele, wie man sich als Kunstschaffender eindrucksvoll präsentieren kann.

Im Bereich der Leibesübungen ist das anders. Richtig Verrückte haben es mit wenigen Ausnahmen (Mike Tyson) nicht zu den ganz großen Auszeichnungen gebracht. Dabei wäre die Liste der mit einem kleinen Vogel beziehungsweise nachdenklich machenden Verhaltensauffälligkeiten behafteten Athleten ziemlich lang. Es stellt sich die alte Frage nach dem Grade der Psychopathologie. Einfacher: Wann ist einer wirklich gaga?

Aus sich mit dem Thema befassenden Filmen weiß man, daß ein sicheres Zeichen von Wahnsinn das Ablassen von grünem Schleim ist. Im Alltag freilich stellen sich dem Interessierten oft subtilere Aufgaben. Wollen wir uns einen Athleten vorstellen, der sich sicher ist, daß er permanent per Fluch von einem seiner Trainer belästigt wird? Stellen wir uns weiter vor, jener Athlet würde sich an eine portugiesische Beterin und Austreiberin (Dankesschreiben unheilbar Krebskranker liegen vor) wenden und sich von ihr in einer Art Dauertherapie (literweise Weihwasser trinken plus Bauchmassage) behandeln lassen, um den vom Trainer auf ihn geladenen Flüchen zu entgehen. Nehmen wir außerdem an, der Athlet wäre in dem Glauben, der ihn Fluchende hieße zu allem Unbill auch noch „Georg Zipfel“ und sei ein ehemaliger Skilangläufer, genau wie er – der Befluchte – selbst ... und hätte sogar noch Recht damit ... äh... Sie sehen, allein durch die Beschäftigung mit dem Fall entsteht eine Art subtiles Wahnklima. Unangenehm für die meisten Leute und die Leistungsbereitschaft hemmend. Den Beschriebenen scheint das Bad in mildem Wahn eher zu fördern.

Alle Wintersport-Interessierten wissen mittlerweile natürlich, um wen es geht: Mühlegg Johann, Deutschlands einziger Weltklassemann in der Nichtbiathlonloipe. Vielleicht ein besessener Sportler, vielleicht treiben den Allgäuer auch andere, dumpfe Mächte durch die Spur: „Mich kriegt ihr nicht – alle die ihr mir übel wollt!“ Ein Mann auf der Flucht. Kann sein, muß nicht.

Sicher ist, daß sich unser Johann, immer tüchtig von seinem ihn managenden Bruder Martin gepusht, ständig eine oder auch mehrere Reizfiguren sucht. Sei's Zipfel, sei's etwas später Jochen Behle, sei's die eigene Frau oder gar die Gesamtregion Allgäu plus Einwohner: „Laßt uns bloß mit diesen Allgäuern in Ruhe!“

Der DSV spielte in Ermangelung einer läuferischen Alternative das Spiel des wirren Skifahrers immer wieder zähneknirschend mit. Und hat nun keinen Dank, nachdem Mühlegg sich vor einigen Wochen dem spanischen Skiverband angedient hat.

Heute setzen die Langläufer ihre Saison fort, und er ist weder Spanier geworden noch überhaupt in diesem Winter im Weltcup gelaufen. Die Frage aber ist: Was will er da eigentlich? Die Trainingsbedingungen sind mit Sicherheit nicht idealer als die unseren; er wird sich nach wie vor in Skandinavien vorbereiten müssen. Bleibt nur die alte Obsession: Flucht vor den Flüchen. Warum aber sollen in Spanien die spiritistisch Aktiven magerer gesät sein als im heimatlichen Bergland? Beziehungsweise warum sollten die in Spanien Ansässigen ihm wohlgesonnener sein? Verspricht er sich Schutz durch die Nähe zum Heimatland seiner portugiesischen Geistheilerin? Warum dann nicht gleich nach Portugal? Warum nicht gleich nach – aufgepaßt: Irland?

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