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„Wichtig ist nur, daß ich mich verstehe“

An den Wurzeln aller populären Kultur. Historischer Rundumschlag und Kindheitserinnerung statt sentimentaler Romantisierung eines Gewerbes. André Eisermann gastiert mit seiner Show „Hommage an das Fahrende Volk“ im Wintergarten-Varieté  ■ Von Axel Schock

Was immer er auch tut, er macht es mit Hingabe. Das mag dann bisweilen zwar egomanisch erscheinen und nach Selbstüberschätzung aussehen. Aber André Eisermann nimmt solche Vorhaltungen inzwischen gelassen. „Ich fühle mich oft nicht verstanden, aber das ist mir auch egal. Wichtig ist, daß ich mich verstehe.“ Er zieht ein wenig nervös an der Zigarette, die Stimme wird nachdrücklicher, aber keineswegs gereizt.

Als er 1995 nach „Kaspar Hauser“ und mit der Hauptrolle in Joseph Vilsmaiers „Schlafes Bruder“ auf einem Höhepunkt seiner Karriere als Filmschauspieler angelangt war, war André Eisermann ein Star, für den sich Allegra genauso interessierte wie der Spiegel. „Der Spinner“, „Genie und Größenwahn“, „Der arroganteste Schauspieler Deutschlands“ – schmeichelhaft war das nicht gerade, was er da zu lesen bekam. „Damals mußte ich lernen, daß das, was da steht, mit mir letztlich nichts zu tun hat.“

Heute im Rückblick, gesteht er, kann er manche Einschätzung sogar nachvollziehen. „Ich war jung, gerade mal 26 Jahre. Ich wurde in den Olymp hochgeschossen, auch international, bis hin zu einer Golden-Globe-Nominierung. Man ist so überzeugt von sich, von dem, was man tut, und wird durch die Preise auch noch bestätigt.“ Aber, so rechtfertigt Eisermann auch gleich seinen damaligen jugendlicher Überschwang: „Was wäre ich ohne dieses bißchen Größenwahn geworden? Was wäre ich, wenn ich nicht von mir überzeugt wäre und von dem, was ich tue? Nur daß ich es öffentlich sage, das ist fremd hier in Deutschland.“

Das Image des Egozentrikers hat sich festgesetzt. Um so überraschter ist man, daß einem da ein Mann gegenübersitzt, der einfach nur seinen sehr eigenen Weg geht. Mit sehr viel Selbstbewußtsein und noch mehr Enthusiasmus.

In George Taboris Opernspektakel „Zirkus um die Zauberflöte“ war er ein zwar nur mäßig gut singender Papageno, dafür entpuppte er sich als überaus dynamischer Conférencier. Sein jüngstes Projekt knüpft an dieses zirzensische Spektakel an. Seine One-man- Show „Hommage an das fahrende Volk“, in der er nur von fünf Musikern um den Pianisten und Komponisten Jakob Vinje begleitet wird, ist eine musikalische Zeitreise zu den Wurzeln des Theaters, zu den Jahrmärkten und Schaustellern, zu Affenfrauen, Mäusefressern und Komödianten – und zu seiner Familie. Denn Eisermann entstammt einer Schaustellerfamilie. Seine Kindheit verbrachte er auf Reisen von einem Rummelplatz zum nächsten. Seine Eltern ziehen noch heute mit einer Büchsenwurfbude und einem „Hau-den-Lukas“ über Land. Seine Großmutter schaffte es als „Elastikwunder“ und „Schlangenfrau“ in den 20er Jahren bis ins einstige Berliner Wintergarten-Varieté, sein Großvater betätigte sich als „Stärkster Mann der Welt“.

Wenn Eisermann von seiner Show erzählt, erlebt man diesen Übergang von kindlicher Freude am Spiel zu unbändiger Leidenschaft, die sich in geradezu dramatischem Mitteilungsdrang entlädt. Unvermittelt wird Eisermann vom Gesprächspartner zum Akteur. So viel Gefühlsüberschwang und Inbrunst bei der Arbeit mag manchen tatsächlich erschrecken und für den Größenwahn eines Narzißten angesehen werden. Diese Energie kann allerdings auch ziemlich faszinieren. Seine Hommage, so legt er los, habe wenig mit der Romantisierung dieses Gewerbes zu tun. Vielmehr sei sie ein historischer Rundumschlag: von den fahrenden Leuten im Mittelalter zu den mißgebildeten Menschen, die ihre Abnormität zur Profession machten und sich in Schaubuden als Freaks ausstellen ließen. Die Jahrmärkte, sagt Eisermann und hat bereits eine Dynamik in seiner Erzählung erreicht, die einer überschwenglichen Verteidigungsrede gleichkommt, sind die Wurzeln aller populären Kultur. Ob die Laterna magica, Lumières Erfindung des Films, Musikautomaten, elektrische Beleuchtung – alles gab es zuerst auf den Jahrmärkten. Die Menagerien seien die Vorläufer der zoologischen Gärten, die Bänkelsänger die Ahnen der Zeitungsreporter. „Und selbst die IMAX- Rundkinos gab es schon vor zwei Jahrzehnten auf den Rummelplätzen.“

Daß die Jahrmärkte heute ihre Bedeutung mehr und mehr verlieren, mache ihn traurig. Daß sie nicht als Stätten der Kultur anerkannt und entsprechend gefördert werden wie Film, Theater oder Kunst, zornig. Mit dieser Produktion, erzählt Eisermann, sei er sich und seiner Herkunft ein ganzes Stück näher gekommen. Was danach kommt, weiß er noch nicht so recht. Alles, was ihm an Filmrollen angeboten wurde, seien diese „Heiterkeitsepisoden“ gewesen. „Mich hat das alles nicht überzeugt, daß dies sinnvoll ist. Ich brauche das schnelle große Geld und den breiten Ruhm nicht. Es gibt Filme wie „Ballermann6“, da strömen die Menschen zu Millionen hinein, amüsieren sich, und das ist auch gut so. Es gibt aber auch Filme wie „Die Blechtrommel“ oder „Jenseits der Stille“. Diese Filme werden bleiben. Und in solchen Filmen möchte ich mitwirken.“

Wenn er schon auf der Bühne stehe oder in einem Film zu sehen sei, sagt Eisermann, dann möchte er den Zuschauern auch etwas hinterlassen, „in gewisser Form etwas einprägen“. Und da ist er dann mit einem Male sehr ernst und ruhig und drückt energisch seine Zigarette aus.

Voraufführungen 12.–14. Januar, Premiere am 15. Januar. Weitere Vorstellungen bis 31. Januar

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