Kommentar: Auf zu neuen Ufern
■ Kurt Biedenkopf macht deutschen Arbeitslosen Beine
Reisen bildet. Nachdem der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf jüngst die Soldaten seines Landes in Bosnien besucht hatte, sagte er, daß arbeitslose Baufachleute die Häuser in dem zerstörten Land aufbauen sollten statt Bundeswehrsoldaten. Ob ihn die Situation in Bosnien zu der Überlegung verleitete oder die Sorge um die eventuell überforderten Soldaten, ist unklar.
Das ist auch unwichtig. Tatsache ist, daß beim sächsischen Landesarbeitsamt seitdem Hunderte arbeitslose Bauleute anrufen und das Arbeitsamt eine Hotline einrichten mußte.
Das ist so erstaunlich wie erfreulich. Denn die Industrie klagt seit Jahren über die Unlust deutscher Arbeitnehmer, ins Ausland zu gehen. Ingenieure fast jeder Fachrichtung werden zwar hierzulande nur eingeschränkt benötigt, in den von den Unternehmen begehrten Ländern aber händeringend gesucht. Doch klebten Deutsche in der Vergangenheit an ihrem Sessel, was in merkwürdigem Kontrast zur Bedeutung der hiesigen Industrie in der Weltwirtschaft steht. Das scheint so nicht mehr uneingeschränkt zu gelten. Offensichtlich hat Biedenkopf wieder mal einen Anstoß zum Umdenken gegeben. Seine Überlegung zur Internationalisierung der Arbeit könnte auch die peinliche, im Ausland als abstoßend und für ein so wichtiges Land wie Deutschland als Schande empfundene Diskussion um die Staatsangehörigkeit bereichern.
Denn ob doppelt oder nicht, geboren oder zugezogen, ist letztlich nebensächlich und antiquiert. Dieses Land braucht Flexibilität. Also ein Einwanderungsgesetz, das nach objektiven Kriterien den Zuzug von Menschen anderer Nationalität regelt. Denn Deutschland ergraut. Das Land wird in Zukunft nicht nur Arbeitnehmer brauchen, die die Sozialkassen füllen, sondern schlicht Menschen, die erfinden, leisten und schleppen. Und diese Menschen werden jung sein müssen.
Umgekehrt können junge arbeitslose Deutsche über den Tellerrand hinausschauen. Chancen bieten sich auch jenseits der Landesgrenzen. Wer diese Mobilität jetzt propagiert, kann auch dazu beitragen, Dynamik in die Gesellschaft zu bringen. Nicht nur durch Einwanderung, sondern auch durch die Beteiligung der deutschen Arbeitnehmer an den Ortswechseln. Noch besteht die Chance, sich zu bilden. Nicht nur auf einer Reise. Ulrike Fokken
Bericht Seite 5
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen