■ H.G. Hollein: Rufmord
Die Frau, mit der ich lebe, mag es gern laut. Vor allem, wenn sie mir etwas mitteilen möchte. Etwa den Umstand, daß ihr Seidenpyjama nicht in die Kochwäsche gehört. Das mag sein. Andererseits: Fehler kann nur machen, wer auch handelt. Der dieser Einsicht implizite Vorwurf haushaltlicher Indolenz – vulgo Faulheit – vermochte die Gefährtin ebensowenig milder zu stimmen wie der Hinweis, daß ihr ein etwas knapperes Nachtgewand auch nicht übel zu Gesicht stünde. Dabei wäre ich der letzte, der sich gegen ein paar pädagogisch einfühlsame Worte zur Optimierung meiner Funktion als häusliches Nutztier sperrte. Ich habe nur etwas dagegen, wenn ich am nächsten Morgen die Nachbarin im Treppenhaus ihrem Söhnchen zuflüstern höre: „Sieh mal, das ist der gedankenlose Arsch von nebenan.“ Ich habe der Gefährtin schon mehrfach – erfolglos – zu vermitteln versucht, daß ihre zornabführende Lautstärke die Gefahr birgt, mir einen ganz und gar unangemessen schlimmen Ruf einzutragen. Was soll das unschuldige Kind jenseits unserer Schlafzimmerwand denn denken, wenn es nächtens von einer Frauenstimme aus dem Schlaf gerissen wird, die in geradezu hysterischer Verzweiflung fordert: „Du Miststück, laß mich endlich in Ruhe! Ich will schlafen!“ Das arme Wurm kann ja nicht wissen, daß die Katze, die mich duldet, ihre Nagerqualitäten nun mal am liebsten an den Zehen der schlummernden Gefährtin erprobt. Ich habe schon daran gedacht, einen aufklärenden Handzettel an die umliegenden Mietparteien zu verteilen, aber heißt es nicht auch: „Wer sich verteidigt, klagt sich an“? So lebe ich denn weiter – still und verkannt. Nur, daß ich der Gefährtin sensible Wäsche jetzt sorgsam stapele. Ich will mir schließlich nicht nachsagen lassen, daß ich denselben Fehler zweimal mache.
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