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Gute Autos nur gegen gutes Geld

Die Arbeiter und Angestellten im Daimler-Chrysler-Werk in Untertürkheim waren die ersten, die sich an Warnstreiks beteiligten. Bundesweit waren 200.000 im Ausstand  ■ Aus Stuttgart Heide Platen

Frühschicht beim Motoren- und Versuchswerk von Daimler- Chrysler in Stuttgart-Untertürkheim. Es ist eiskalt, Pulverschnee stäubt über Weinberge und Werkshallen. „Dicke Gewinne, magere Löhne? Mehr Gerechtigkeit!“ steht auf einer Plakatwand. Der Werksschutz stellt ein Schild „Umleitung“ dazu. Zur Kundgebung der Industriegewerkschaft Metall (IGM) blockierten gestern Vormittag um 11.30 Uhr 400 der 1.400 hier Beschäftigten das Tor 1 am Neckar-Stadion. Flugblätter hatten die Belegschaft zum „Frühschluß“ aufgerufen. Die meisten nahmen das wörtlich und nutzten diesen ersten Warnstreik, um drei Stunden vor Feierabend spornstreichs nach Hause zu eilen.

IGM-Ortsbevollmächtigter Jürgen Stamm hat dafür „ein gewisses Verständnis“. Die meisten derjenigen, die ausharren, die frierenden Hände tief in den Hosentaschen der Blaumänner vergraben, sind altgediente Gewerkschafter. Aber auch viele junge Arbeiter sind dabei und einige der Angestellten. Stamm ruft ihnen zu, daß ihr Betrieb sicher dabeisein werde, wenn Ende Februar wirklich gestreikt werden sollte: „Schaut euch das Tor an. Jetzt ist es zu. Daran werden wir uns vielleicht gewöhnen müssen.“ Die Kollegen blasen in ihre bunten Trillerpfeifen und schwenken die roten Fahnen. Betriebsratsvorsitzender Helmut Lense nennt das Angebot der Arbeitgeber von zwei Prozent plus Einmalzulage von einem halben Prozent „beleidigend“: „Wir wollen keine Almosen.“ Und: „Wer keine Skrupel hat, den Rest von sozialem Konsens aufzukündigen, sucht den Konflikt, und den kann er haben!“ Leichtfertig, sagt er aber auch, wolle die IG Metall nicht in den Streik gehen. Es werde mit der Forderung von 6,5 Prozent Lohnerhöhung ab Mittwoch weiterverhandelt bis zum 10. Februar: „Aber es wird diesmal keinen Verhandlungszirkus geben!“ Auch die Beschäftigten, die die „dicken Gewinne“ der Konzerne erarbeitet hätten, seien schließlich mit den Marktgesetzen des Kapitalismus vertraut: „Gute Autos gibt es nur gegen gute Bezahlung!“ Währenddessen rollt ein kapitalistisches Statussymbol, ein silbergrauer Mercedes 300 SLR, ins Werk zurück. Er hängt symbolträchtig am Abschlepphaken. Lense wünscht der Belegschaft nach einer kurzen halben Stunde Mobilmachung vorerst „ein schönes, langes Wochenende“. Das hatte für die Beschäftigten der Nachtschicht in etlichen Betrieben Baden-Württembergs mit Schwerpunkten in der Region Stuttgart und am Bodensee schon um vier Uhr in der Nacht begonnen, als sie kurz nach Ablauf der Friedenspflicht um 24 Uhr die Arbeit niederlegten, sich zu Kundgebungen und kurzen Demonstrationszügen trafen. Die Daimler- Chrysler-Spätschicht machte gestern dann vier Stunden früher, um 21 Uhr, Feierabend. An den Forderungen der Südwest-Metaller aus Baden-Württemberg werden, so Stamm, die Arbeitgeber „diesmal nicht vorbeikommen“: „Ohne uns geht nichts!“ Nebenbei nannte er schon einmal die Verhandlungsspielräume, vier Prozent wenigstens „und 1.000 Mark für jeden“. Zeitgleich mit den Untertürkheimern streikten gestern zeitweise auch rund 15.000 Beschäftigte allein in den Daimler-Chrysler- Werke in Sindelfingen und Hedelfingen und der Firmen Bosch und Hoover. Stamm kündigte weitere Aktionen für die nächsten Wochen an, von denen wechselweise ganze Betriebe und einzelne Abteilungen betroffen sein sollen.

Insgesamt waren laut IGM gestern bundesweit über 200.000 im Warnstreik. Erwartungsgemäß wurden die Aktionen von den Arbeitgebern kritisiert. Der Gesamtmetall-Präsident Werner Stumpfe meinte, durch die Streiks werde ein „vernünftiger Kompromiß erschwert“, und aus den Gesprächen für ein Bündnis für Arbeit würde man aber nicht aussteigen.

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