: „Es sind zu viele Türken...“ –betr.: „Das deutsche Wort für Wurst?“ (Schulwirklichkeit in Kreuzberg), taz vom 29. 1. 99
[...] Was ist dieser plastischen Beschreibung des alltäglichen Elends nun zu entnehmen? Auf welche Ursachen wird die beklagte mangelnde Deutschsprachkompetenz der Kinder, von denen die allermeisten bereits einen Kindergarten besuchten und mittlerweile in der siebten Klasse angekommen sind, zurückgeführt?
Politische Verfehlungen der letzten Jahren hätten durchaus zu der beschriebenen Situation beigetragen, auch die beabsichtigte Zusammenlegung von Kreuzberg mit Friedrichshain werde nur das künftige Armenhaus Berlins erschaffen. Solcherlei differenzierende soziale und politische Aspekte werden jedoch rund um das zentrale ethnisierende Erklärungsmuster „Zu viele Türken!“ herum drapiert.
Zurück bleibt die Erkenntnis: Es ist alles sehr schlimm in Kreuzberg, und irgendwie hat das damit zu tun, daß es zu viele Türken gibt. Es sind so viele, daß sie sich klammheimlich eine Parallelwelt, quasi die „Autonome Türkenzone Kreuzberg“ aufbauen konnten und es nicht nötig haben, Deutsch zu lernen, außer daß sie zum monatlichen Geldabholen zum Sozialamt gehen, brauchen sie die deutsche Welt ja nicht mehr.
An keiner Stelle wird hinterfragt, ob es nicht auch ein Zeugnis des pädagogischen Versagens der pädagogischen Einrichtungen ist, wenn Kinder auch nach jahrelanger Beschulung kaum Deutsch lernen konnten. [...]
Woran könnte es denn liegen? Vielleicht, weil keine der LehrerInnen jemals dafür ausgebildet wurde, Deutsch als Zweitsprache zu vermitteln? Weil ErzieherInnen nicht einmal eine Fortbildungsmöglichkeit hierfür angeboten wird? War gar wirklich früher einiges besser, wie die Lehrerin andeutet, weil bis vor einigen Jahren Schulen mehr Lehrerstunden zur Verfügung standen, die ausschließlich dazu verwandt werden sollten, die Deutschsprachkompetenz der SchülerInnen zu erweitern? Ist die Lehrerin nicht auch deshalb müder, weil sie zwar älter geworden ist, aber nun vor volleren Klassen steht und obendrein keine Altersermäßigung bekommt, da diese im Zuge unzähliger „Sparmaßnahmen“ zusammengestrichen wurde? Und muß es nicht doch stutzig machen, wenn LehrerInnen auch nach 30 Jahren nicht mitbekommen, daß Muslime jedes Jahr aufs neue den Ramadan zu feiern belieben und ihnen hartnäckig Weihnachtsplätzchen vorsetzen? Fehlt da nicht ein wenig interkulturelle Kompetenz bei allen Beteiligten?
Das schlichte Erklärungsmuster von Vera Gaserow wird von vielen geteilt. Nein, ich meine nicht diejenigen, die Schlange stehen, um die Unterschriftenkampagne der CDU zu unterstützen, sondern die vielen „Linken“, zu denen sich in der Regel auch taz-JournalistInnen zählen. Einwürfen aus dieser Ecke wird gerne vorweggeschickt: Daß ich kein Rassist bin, ist sonnenklar meiner Biographie zu entnehmen, um so mutiger kann ich nun (vermeintliche) Tabus brechen, (s. auch Martin Walser) und endlich sagen, was Sache ist. Es sind zu viele Türken in Kreuzberg/Berlin/Deutschland.
Aus der rechten Ecke werden die Vorschläge dafür, wie das erträgliche Maß an Ausländern wiederhergestellt werden sollte, längst überdeutlich formuliert. Otto Schily hat neuerdings die Losung von Links vorgegeben: Die Grenze der Belastbarkeit ist überschritten! Zu einer gefährlichen Stimmungsmache können nicht nur CDU-Unterschriftenlisten beitragen, sondern auch oberflächlich beschreibende, ethnisierende taz-Artikel. Sanem Kleff, Lehrerin, Berlin
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