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Träume vom gelobten Land in Übersee

Unter den Weißen nimmt die Angst zu, daß Südafrika in Wirklichkeit Afrika ist. Wegen der hohen Kriminalität und der unsicheren Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt wollen viele von ihnen das Land verlassen  ■ Aus Johannesburg Kordula Doerfler

Die Angst fährt immer mit. Rote Ampeln ignoriert Deborah Bell nach Einbruch der Dunkelheit deshalb längst. Hält sie einmal ein Polizist auf, erklärt die junge Frau ihm, daß er von ihr wohl schlechterdings nicht erwarten könne, anzuhalten. „Meistens verstehen sie das und lassen einen weiterfahren.“ Für den Weg vom Flughafen nach Hause, in einen der weißen Vororte von Johannesburg, braucht sie etwa 20 Minuten. Währenddessen steht ihr Handy nicht still. „Meine Freunde wollen wissen, ob ich noch am Leben bin.“

Ihr Lachen bei diesem Satz ist gequält. Denn sie meint ihn ernst. Wenn sie zu Hause ist, ruft die 35jährige als erstes ihre Mutter an. Die wohnt nur fünf Autominuten entfernt, will aber am liebsten über jeden Schritt ihrer Tochter Bescheid wissen. Vorher wird eingecheckt in eine Wohnanlage, wo keiner hinaus- oder hineinkann, der dort nichts verloren hat. Sogenannte Townhouses, also Häuser in einer abgeschlossenen Anlage mit Wachschutz rund um die Uhr, werden in Südafrikas Städten immer beliebter. Die sind zwar meist kleiner und teurer als die weitläufigen Häuser, die Weiße normalerweise bewohnen, aber sie gelten als weitaus sicherer – vor allem bei alleinstehenden Frauen.

„Mußt du bei Dunkelheit noch herumfahren?“ klagt die Mutter am Telefon. Die Tochter beschwichtigt sie: „Du sollst dir keine Sorgen machen.“ Ihr Verhalten straft diesen Satz Lügen. Nervös nestelt sie an ihrer Handtasche herum und zündet sich eine Zigarette nach der anderen an. Der Designer-Aschenbecher quillt längst über, mehrere vorzeitig ausgedrückte Stummel sind auf dem sündteuren schwarzen Ledersofa gelandet. Deborah sieht aus wie einem Modemagazin entsprungen. Ein wenig zu gestylt, so, wie es schick ist in Südafrikas weißer Oberschicht – mit ein bißchen zu viel Gold behängt und ein bißchen zu mager.

„Ich will nicht immer Angst haben“, stößt die erfolgreiche Managerin zwischen zwei Rauchkringeln hervor. Aber sie hat immer Angst, selbst in ihrer gesicherten Festung: vor Überfällen, Vergewaltigung, Einbrüchen und Mord. Die Angst teilt sie mit den meisten weißen Südafrikanern im Jahr5 nach dem Machtwechsel. Laut einer Studie von Psychologen fühlen sich viele ihrer Patienten so bedroht wie in einem Kriegsgebiet und leiden an entsprechenden Neurosen: Schlaflosigkeit, Nervosität, Alptäumen. Nach einer jüngsten Meinungsumfrage halten 77 Prozent aller Weißen Kriminalität für das größte Problem in Südafrika. Kaum ein Weißer traut sich noch in die Innenstadt von Johannesburg.

Doch auch in die einst so sicheren und ruhigen Vororte der Städte und selbst in entlegene Gebiete auf dem Land hat die Kriminalität Einzug gehalten. Die gab es zwar schon immer in Südafrika, überwiegend aber nur in den Ghettos, die man für die schwarze Mehrheit errichten ließ. Heute trauen die Weißen der Polizei kaum etwas zu – nicht ganz zu Unrecht – und behelfen sich mit privater Aufrüstung. Fast jeder hat legal eine Waffe im Schrank, die Grundstücke sind mit meterhohen Mauern, Stacheldraht und Alarmanlagen versehen und Tag und Nacht von privaten Sicherheitsdiensten bewacht.

Schwarzen Südafrikanern indessen, von denen noch immer jeder dritte arbeitslos ist, erscheint der Lebensstil der Weißen als zutiefst erstrebenswert. In einer Gesellschaft, in der schnelles Geld fast alles zählt, wiegen auch Statussymbole schwer: große Häuser, teure Autos, Schmuck und Reisen nach Übersee – alles das, was Deborah hat. Sie arbeitet bei einer großen internationalen Softwarefirma und verdient sehr gut. Materielle Sorgen kennt sie nicht.

Zufrieden mit ihrem Leben ist sie trotzdem nicht. „Was nützt uns das alles, wenn wir nur noch hinter Mauern, elektrischen Zäunen und Alarmanlagen leben können? Ich habe eigentlich nur noch einen Wunsch: das Land verlassen“, sagt sie. In ihrer Firma besucht sie nun Fortbildungskurse, um in Ländern der „Ersten Welt“ eine Chance zu haben. Viele ihrer Kollegen wollen das auch versuchen. Weil auf dem heimischen Arbeitsmarkt gemäß den Regeln der sogenannten affirmative action Schwarze bevorzugt eingestellt werden, fühlen Weiße sich zunehmend ökonomisch bedroht und haben wenig Hoffnung für die Zukunft.

Jedes Jahr verlassen nach Angaben des Statistischen Landesamtes in Pretoria fast 10.000 Südafrikaner ihre Heimat für immer. Das ist nicht viel bei einer Gesamtbevölkerung von rund 40 Millionen, und 1997 war die Zahl sogar leicht rückläufig. Besorgniserregend ist jedoch der Aderlaß an qualifizierten und gut ausgebildeten Arbeitskräften: Die, die gehen, sind meist Akademiker. Auch mittleres und hohes Management ist überdurchschnittlich betroffen. Ersatz ist wegen der schlechten Ausbildung, die Generationen von Schwarzen durchlaufen haben, und der restriktiven Einwanderungspolitik der Regierung schwer zu finden.

Mit dem Zweitpaß nach Großbritannien

Da viele englischsprachige Südafrikaner noch einen britischen Zweitpaß haben, selbst wenn ihre Familien schon seit Generationen am Kap leben, sind angelsächsische Länder das bevorzugte Ziel der Auswanderer. Fast ein Drittel will nach Großbritannien, gefolgt von Australien, Neuseeland, Kanada und den USA. Unter der burischen Minderheit am Kap ruft das oft Neid und Verbitterung hervor. „Uns hält man heute vor, für ein Unrechtsregime verantwortlich zu sein“, sagt ein bekannter Arzt in Johannesburg, der lieber ungenannt bleiben will. „Aber wir haben nicht die Möglichkeit, einfach ins Ausland zu ziehen. Und dabei haben viele angeblich liberale Engländer doch auch gut mit der Apartheid gelebt.“

Außer Landes zieht es in dieser Bevölkerungsgruppe vor allem die, die ihr ihren Namen gegeben haben: die Buren – also die Bauern. Mehrere hundert Farmer haben sich seit der politischen Wende in afrikanischen Nachbarländern angesiedelt, allen voran Mosambik, mit dem sogar auf Regierungsebene ein entsprechendes Abkommen besteht. Aber am Ende ist die politische und ökonomische Unsicherheit in den meisten anderen afrikanischen Staaten ungleich größer als in Südafrika.

Das hält auch der heute mehrheitlich regierende „Afrikanische Nationalkongreß“ (ANC) der weißen Minderheit im Land entgegen. Hysterie und einseitige Berichterstattung wirft der künftige Präsident Thabo Mbeki den Medien vor, was das Thema Kriminalität angeht. Tatsächlich ist die schwarze Bevölkerungsmehrheit weitaus häufiger Opfer von Verbrechen als die Weißen. Zudem klafft immer noch ein enormes Wohlstandsgefälle zwischen Schwarz und Weiß: Nach den Ergebnissen der letzten Volkszählung sind nur knapp 11 Prozent aller Südafrikaner Weiße, aber zwei Drittel davon gehören zu den Spitzenverdienern. Schwarze hingegen stellen drei Viertel der Bevölkerung und sind so bettelarm und schlecht ausgebildet wie der Rest des Kontinents.

Bisher, unter der Regierung von Nelson Mandela, ging der ANC sehr behutsam mit der weißen Minderheit um. Dessen Lebenswerk ist „Versöhnung“ und nicht etwa Enteignung. Doch nun kommen neue Zeiten: Nach den nächsten Wahlen, die wahrscheinlich im Mai stattfinden, wird die ehemalige Befreiungsbewegung eine härtere Gangart einschlagen. Mbekis Konzept heißt nicht Versöhnung, sondern Veränderung. In zahllosen Reden macht er keinen Hehl daraus, was damit gemeint ist: stärkere Antastung von Privilegien als bisher.

„Wenn sie könnten, würden sie uns alles wegnehmen“, glaubt Juliette Lazar. In dem kleinen, unscheinbaren „sie“ liegt alle Verachtung der Welt. In Unterhaltungen vieler Weißer spielt es eine zentrale Rolle. Wird nicht über Kriminalität geklagt, muß die erste schwarze Regierung herhalten, und das keineswegs nur bei stockkonservativen Buren irgendwo auf dem platten Land. Auch liberale englischsprachige Südafrikaner in den großen Städten fallen gern ein ins allgemeine Lamentieren über die Zustände im Land. „Sie“ sind dann diejenigen, die jetzt plötzlich Rechte für Dienstboten einklagen, Grundstücke nach Marktwert besteuern wollen und das Schulsystem auf Kosten der weißen Privatschulen novellieren.

Die schwarze Regierung ist an allem schuld

Daß Juliette Lazar ihren Job verloren hat, haben natürlich auch „sie“ verursacht. In einem schier unerschöpflichen Redestrom über die drohende Afrikanisierung Südafrikas rutscht ihr das Geständnis heraus, es mit Arbeitszeiten nicht allzu genau genommen zu haben. Einen Rechtsstreit wird die alleinstehende Mutter von zwei Söhnen wahrscheinlich verlieren – und danach ihr geräumiges Haus im grünen Vorort Emmarentia. Außer ihren drei Hunden und zwei Katzen leben dort nur ihre Dienstboten, hinten, im sogenannten Cottage, einer heruntergekommenen Bruchbude. „Wenn das auch noch weg ist, hält mich hier nichts mehr“, sagt die 42jährige.

Dann will sie nach England, wo einer ihrer Brüder wohnt. Daß ihre Chancen, nach einem verlorenen Arbeitsrechtsstreit dort einen Superjob zu bekommen, nicht allzugut stehen, verdrängt sie vorerst lieber. Viele, die von einem angstfreien Leben andernorts auf der Welt träumen, wissen gar nicht, daß es im Europa der 90er Jahre auch mit einem Hochschulabschluß keineswegs eine Jobgarantie gibt wie früher für Weiße in Südafrika. Oft halten sie Kriminalität auch für ein originär südafrikanisches Problem. „Das ist manchmal für Auswanderungswillige ein richtiger Schock“, sagt eine Mitarbeiterin in einer Vermittlungsagentur für „Übersee“. „Gute Aussichten auf einen einigermaßen vergleichbaren Lebensstandard haben nur die, die wirklich gut ausgebildet sind.“

„Ich kann überall hingehen“, sagt Juliette Lazar trotzig. Alles ist besser als das hier, und es wird noch schlimmer. Für sie ist es keine Frage, daß der ANC bei den nächsten Wahlen eine Zweidrittelmehrheit erringen wird. „Dann können ,die‘ machen, was sie wollen. Sehen Sie sich doch den Rest von Afrika an!“ Im gleichen Atemzug beteuert sie, keine Rassistin zu sein, sondern liberal, gebildet, eine Kennerin klassischer Musik.

Auf ähnlich reflexhafte Bekenntnisse muß man sich im Gespräch mit weißen Südafrikanern stets gefaßt machen. Vor allem die Englischsprachigen wollen auch nach Generationen am Kap alles sein – nur bitte nicht afrikanisch. Juliette Lazar würde auch nicht dulden, daß einer ihrer Söhne von einem schwarzen Lehrer unterrichtet wird. Oder gar mit einer schwarzen Frau ausgeht. In England, dem gelobten Land, könnte so etwas zum Glück nicht passieren, meint sie. Das wollen die Söhne auch gar nicht. Sie bleiben in Südafrika. Freiwillig.

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