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Saddams Spion taucht unter

Britische Agenten wollten Iraks Konsul in Tschechien umdrehen. Doch ihre tschechischen Kollegen verpatzen ihnen das Geschäft  ■ Aus Prag Thomas Dreger

Die Geschichte könnte der Feder Frederick Forsyths entstammen. Sie hat alle Bestandteile eines Spionagethrillers: Agenten, Doppelagenten, internationalen Waffenhandel, Pläne zum Sturz Saddam Husseins und ein wenig Sex. Doch die Geschichte ist wahr, auch wenn Details je nach Interessenlage unterschiedlich dargestellt werden.

Hauptakteur ist Dschabir Salim (43), bis kurz vor Weihnachten Konsul an der irakischen Botschaft in der tschechischen Hauptstadt Prag, höchstwahrscheinlich Agent des irakischen Geheimdienstes und sehr wahrscheinlich zuletzt Doppelagent im Dienste des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6. Über seine Tätigkeit kann er derzeit selbst keine Auskunft geben, denn Salim ist spurlos verschwunden.

Fakt ist, daß er sich Mitte Dezember unter dem Vorwand, seine Tochter müsse in Wien medizinisch behandelt werden, von seinen irakischen Kollegen in Prag verabschiedete. Danach verliert sich seine Spur. Nach Informationen des britischen Daily Telegraph und dessen Sonntagsausgabe Sunday Telegraph war Salim als irakischer Agent vor allem für die Waffenbeschaffung aus Osteuropa zuständig. Ende letzten Jahres soll ihm dann die irakische Führung umgerechnet rund 300.000 Mark zur Verfügung gestellt haben, verbunden mit dem Auftrag, den Hauptsitz des in Prag beheimateten Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) in die Luft zu sprengen. Anlaß: Der einst mit CIA-Hilfe zur Destabilisierung des Ostblocks eingerichtete Sender hatte am 30. Oktober unter dem Titel Radio Free Iraq angefangen, auf Kurzwelle in das Reich Saddam Husseins auszustrahlen. Das Programm wird zum Teil aus jenem 97 Millionen US-Dollar teuren Budget bezahlt, das US-Präsident Bill Clinton im Oktober zur Unterstützung der irakischen Opposition bewilligte. Die gesendete Mischung aus Informationen und Aufforderungen zum Sturz der Staatsführung soll Saddam Hussein so geärgert haben, daß er den Auftrag zum Anschlag gab.

Laut Telegraph wußte der britische Geheimdienst MI6 von Salims Aktivitäten. Und da der künftige Nato-Partner Tschechien in London inzwischen als „befreundet“ angesehen wurde, bat man den Prager Partnerdienst BIS um Amtshilfe. Die tschechischen Kollegen sollten Salim streng observieren, während sich die Briten Gedanken darüber machten, wie man dem Iraker am besten umdrehen könnte. Denn – so die britische Einschätzung – Salim war nur nach außen ein 200prozentiger Anhänger Saddam Husseins. Eigentlich habe er schon länger eine Absprungmöglichkeit gesucht, und schließlich hätte man mit ihm einen eigenen Agenten im engeren Führungszirkel um Saddam Hussein, zudem einen Kenner des geheimen irakischen Waffenprogramms. Wie weit diese Bemühungen gediehen waren, ist nicht bekannt. Doch spätestens Ende Dezember scheint es Salim ob seiner beiden unterschiedlichen Auftraggeber mit der Angst zu tun bekommen. haben. Er setzte sich ab – samt Frau, sieben Kindern, mindestens 60 Gepäckstücken und gänzlich unbemerkt durch die von den Briten um Hilfe gebetenen tschechischen Observateure.

Nach Bekanntwerden dieser Nachricht setzte sich der Leiter der MI6-Mission in Prag, der offiziell als britischer Konsul auftretende Christopher Hurran (51), empört an den Computer und verfaßte Protestschreiben. Eines an den für den Geheimdienst zuständigen tschechischen Minister Jaroslav Bašta und eines an den Chef des tschechischen Geheimdienstes BIS, Karel Vulterin. Vermutlich als Reaktion auf diesen Protest setzte Tschechiens Regierung Vulterin noch im Januar ohne offizielle Begründung ab. Die Geschichte hätte damit ein Ende finden können – hätte sich nicht der Prager Privatsender TV Nova der Angelegenheit angenommen. Am 31. Januar outete die tschechische Antwort auf RTL Christopher Hurran gleich doppelt: als Agenten des MI6 und als schwul. Beides waren keine echten Geheimnisse, schließlich hielt der Brite für den MI6 Kontakte zum tschechischen BIS, und wer es wissen wollte, der konnte erfahren, daß der bekannte Partylöwe sein Appartement mit seinem Freund, einem venezolanischen Künstler, teilte. Dennoch wird nun in London und Prag diskutiert, ob der britische Agent durch die Veröffentlichung „verbrannt“ ist.

Für Tschechien, das kommenden Monat in die Nato aufgenommen werden soll, bedeutet die Affäre einen enormen Gesichtsverlust. „Das Leck ist ein Skandal. Es läßt das ganze Land dumm dastehen“, empörte sich der Vorsitzende des Parlamentsausschusses für Sicherheit und Verteidigung, Petr Nečas. Doch es ist unklar, wer dieses Leck ist. „Die Angelegenheit lag für uns offen, und sie

erwies sich als wahr“, verteidigt

TV-Nova-Chef Vladimir Železný seine Sendung. Als Quelle mag er nur einen „hochrangigen Vertreter des BIS“ angeben. Zuerst schoß sich die tschechische und die britische Presse auf den geschaßten Geheimdienstchef Vulterin ein. Dessen mögliches Motiv: Rache für Hurrans Beschwerdebriefe. Inzwischen ist jedoch eine andere schillernde tschechische Geheimdienstfigur unter Verdacht: Der bereits 1996 geschaßte ehemalige BIS-Chef Stanislav Devátý. Er gilt als Intimfeind seines Nachfolgers Vulterin und soll noch mit etlichen Agenten des BIS Rechnungen offen haben. Zudem gilt er als guter Informant des Autors des Beitrages von TV Nova. Devátý gibt zu, weiterhin gute Kontakte zu Exkollegen zu unterhalten, will aber mit diesen seit seiner Absetzung nicht mehr über Dienstliches geredet haben. Das wäre schließlich „ein Verstoß gegen das Gesetz über Geheimdaten“, erklärt er unschuldig, und über die Anschuldigungen im Fall Hurran könne er „nur lachen“.

Die Informationen über Hurran seien „über Devátý gekommen. Wahrscheinlich weiß er nicht, welche Folgen sein Tun hat“, zitiert dagegen die Prague Post eine „hochrangige“, aber namenlose „Quelle im Geheimdienstnetzwerk“. Die Behauptung kann stimmen oder auch nicht. Denn der Prager Geheimdienst – zu Ostblockzeiten einer der effektivsten der Welt – gilt inzwischen als Verein in Selbstauflösung. „Nach der Wende wurden die meisten Führungsoffiziere ausgewechselt, aber das Fachpersonal – Fälscher, Abhörspezialisten etc. – blieb“, berichtet ein Kenner der Szene in Prag. Anzahl und Struktur der Seilschaften seien nicht mehr zu überblicken. Zudem würden Politiker unterschiedlicher Couleur Kontakte zu unterschiedlichen Abteilungen und Personen unterhalten – jeweils im gegenseitigen Interesse und mit lukrativen Jobs als Prämie.

Und der irakische Agent Salim? In Prag heißt es, er habe inzwischen in London politisches Asyl beantragt und werde vom MI6 ausgequetscht. Der dort erscheinende und vermutlich von dem britischen Geheimdienst gefütterte Sunday Telegraph will dagegen erfahren haben, Salim sei mit Hilfe des Bundesnachrichtendienstes (BND) nach Deutschland gebracht worden und werde dort „an einem sicheren Ort auf dem Lande“ ausführlich befragt. In Tschechien ist der Iraker samt Familie jedenfalls mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr, denn, so ein Beobachter in Prag: „Dieses Land ist ein Dorf, in dem nichts geheim bleibt – und schon gar keine Geheimdienstinformationen.“

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