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Die Entdeckung der Einsamkeit

■ Es gibt kein Leben mit Fallschirm: Amos Kolleks „Fiona“ zwischen Elend und Schwärmerei

Nach „Sue“ nun also „Fiona“. Und wieder spielt die unbeschreibliche Anna Thomson die Hauptrolle. Hat hier einer seine Erfolgsmasche gefunden? Wieder dasselbe Gesicht, wieder ein bißchen die arme Sau. Könnte man sagen, wenn man zynisch wäre. Man kann es aber auch lassen und statt dessen versuchen, Amos Kolleks packendem, aber nicht unproblematischem neuem Film zu seinen eigenen Bedingungen gerecht zu werden. War „Sue“ noch eine unter die Haut gehende rein fiktionale „Recherche über die Einsamkeit“ (Amos Kollek), die gerade in ihrer Beiläufigkeit verstörte, so packt „Fiona“ den Zuschauer dadurch, daß die Grenzen zwischen „authentischem“ Dokumentarfilm und „inszeniertem“ Spielfilm verschwimmen. Um nicht zu sagen: verschwinden.

Für „Fiona“ hat Kollek in einem Crackhouse recherchiert, in dem Schwerstsüchtige und Prostituierte miteinander leben. Da Gemeinschaften dieser Art aus den verschiedensten Gründen oft nur von kurzer Lebensdauer sind, wurden die Dreharbeiten schon wenige Tage später begonnen und innerhalb kürzester Zeit absolviert. Wenn die „echten Menschen“ („real people“ nennt sie Kollek) auf die Schauspielerin Anna Thomson treffen, werden sie zu Schauspielern ihrer selbst. Koksen, Blowjob, Badewanne, Crack.

Thomson muß improvisieren, sich auf das authentische Setting einlassen, und die echten Menschen müssen sich ihrerseits in irgendeiner Weise dazu verhalten, daß sie am Set sind und Teil einer fiktionalen Handlung werden. Im Grunde wird hier nur offengelegt, was für jeden Film – ob fiktional oder nicht — gilt: Es gibt keinen Dreh ohne Inszenierung.

„Fiona“ ist auf gut gemachte Weise gut gemeint. Mögliche Einwände gegen den Elendstourismus-Verdacht entschärft das allerdings noch nicht. So verwundert schon ein wenig, daß Thomson wie Kollek im Publikumsgespräch (sympathischerweise) an ihrer bürgerlichen Lebensführung keinen Zweifel lassen, um dann im gleichen Atemzug über die „Großzügigkeit“ der Drogenabhängigen ins Schwärmen zu geraten, die oft viel ehrlicher und offener seien als „zivilisierte“ Menschen.

„Everybody goes to hell in his own way“, sagt Anna Thomson. Ein schöner, wahrer Satz. In „Fiona“ schneiden Menschen sich die Pulsadern auf, springen von Dächern und lassen nur ihre Schuhe zurück. Danach geht man betroffen aus dem Kino und ignoriert routiniert die Bettler gleich hinterm Zoopalast. Es gibt kein richtiges Leben mit Fallschirm. Axel Henrici

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