: Ein Gefangener Lukaschenkos
In Weißrußland steht der frühere Chef einer Kolchose vor Gericht, weil er Gewinn erwirtschaftet hat. Der kranke Angeklagte sitzt während des Verfahrens in einem Gitterkäfig ■ Von Barbara Oertel
Damals gingen sie um die Welt, die Bilder vom Prozeß gegen den russischen Massenmörder Andrej Tschikatilo in Rostow am Don Anfang der 90er Jahre. Tschikatilo verfolgte die Verhandlung von einem Käfig aus, wohl nicht zuletzt, um ihn vor Angriffen der Angehörigen seiner über 50 Opfer zu schützen.
Der, der dieser Tage in einem Stahlkäfig im Gerichtssaal der weißrussischen Provinzstadt Kirowsk dem Volk regelrecht vorgeführt wird, hat niemanden umgebracht. Das Vergehen des 75jährigen Wasili Starowoitow, der, ausgemergelt und von Hustenkrämpfen geschüttelt, kaum noch in der Lage ist, dem Geschehen zu folgen, besteht einzig und allein darin, einen Landwirtschaftsbetrieb in die Gewinnzone gebracht zu haben.
Was auf den ersten Blick als Widerspruch erscheint, ist keiner – jedenfalls nicht im Reich von Staatspräsident Alexander Lukaschenko. Getreu der Maxime, „das Gesetz bin ich und ein Verräter, wer in Weißrußland den Wiederaufbau einer Sowjetrepublik en miniature behindert“, hat der Staatschef neben oppositionellen Politikern und kritischen Journalisten mittlerweile auch Mitarbeiter der Wirtschaftsbranche als Volksfeinde ausgemacht.
Daß Starowojtow der Bannstrahl traf, lag da in der Natur der Sache. Schließlich durfte sich der langjährige Chef einer Kolchose neben zwei Orden eines „Helden der sozialistischen Arbeit“ auch das Verdienst ans Revers heften, einem profitablen Unternehmen vorzustehen. Angefangen hatte die Erfolgsgeschichte des Betriebes Rassvet (Morgendämmerung) im Mogilower Gebiet nach der Unabhängigkeit Weißrußlands Ende 1991. Da wandelte Starowojtow die Kolchose in eine Aktiengesellschaft um.
Die einzelnen Produktionszweige wurden ausgegliedert und mit eigenen Konten bei der betriebseigenen Bank ausgestattet mit der Möglichkeit, auch Kredite im Ausland aufzunehmen. Innerhalb kurzer Zeit wurden schwarze Zahlen geschrieben. Und die Rassvet-Bank, die wie der Betrieb selbst als Modell einer gelungenen Umstellung gepriesen wurde, war 1996 das einzige Geldinstitut im Land, das Gewinne machte.
Genau aber das paßte nicht in das Konzept eines Präsidenten, der sein Heil und das seines Volkes in der staatlich gelenkten Wirtschaft sieht und daher nichts unversucht läßt, privatwirtschaftliche Initiative bereits im Keim zu ersticken. Und so wurde denn der Angriff auf Rassvet und Wasili Starowojtow systematisch vorbereitet.
Im Oktober 1997 wurde zunächst der Minister für Landwirtschaft und Produktionswesen, Wasili Leonow, erst aus dem Amt und dann ins Gefängnis befördert. Leonow hatte den Fehler begangen, gemäß des Rassvet-Modells weitreichende Umstrukturierungen in der Landwirtschaft vorzuschlagen. In der Diktion Lukaschenkos las sich das so: Leonow habe Starowojtow bei dessen dunklen Machenschaften begünstigt mit dem Ziel, ihn, den Präsidenten, zu schwächen.
Wenige Tage nach Leonow wurde Starowojtow verhaftet. Die Anklage lautete auf illegalen Waffenbesitz, Korruption, Schmiergeldaffären, Erpressung sowie Unterschlagung von Kollektiveigentum. Am 30. November vergangenen Jahres begann der Prozeß gegen Starowojtow.
Die über einjährige Untersuchungshaft hat den alten Mann gesundheitlich ruiniert. So erblindete Starowojtow fast vollständig, hatte zwei Schlaganfälle und leidet heute an einer Herzkrankheit, Tuberkulose und schwerer akuter Bronchitis. Das alles war für die Behörden bislang aber nicht Grund genug, wiederholten Anträgen auf Hafterleichterung stattzugeben. Im Gegenteil: Die Behandlung Starowojtows seit Prozeßbeginn illustriert nur zu deutlich die Methoden in einem Land, in dem Menschenrechte nichts, Machtdemonstrationen hingegen alles sind.
So wird Starowojtow zu jedem Prozeßtag in einem unbeheizten Transporter aus der 80 Kilomter entfernten Stadt Bobruisk ins Gericht gebracht. Anfang Januar untersuchten drei Minsker Ärzte, darunter ein Spezialist für Psychiatrie, den Angeklagten. Aus dem Gutachten geht eindeutig hervor, daß der Zustand Starowojtows eine weitere Teilnahme am Prozeß nicht zuläßt und der Begutachtete schnellstmöglichst in eine Klinik eingeliefert werden müsse. Merkwürdigerweise lag den Richtern jedoch kurz darauf ein völlig anderes Dokument vor, das Starowojtow einen ausreichend guten Gesundheitszustand für eine weitere Prozeßteilnahme bescheinigte.
Harri Pongonjailo, dem seine Anwaltslizenz entzogen wurde und der jetzt als Vertreter des Helsinki-Komitees für Menschenrechte dem Prozeß beiwohnt, ist sich sicher: „Das Regime wird alles tun, um Starowojtow als Verbrecher hinzustellen. Es braucht solche Prozesse allein schon zu Agitationzwecken. Schließlich muß Lukaschenko beweisen, daß er der einzige ist, der richtige Entscheidungen trifft. Dabei stören ihn Feinde, die verhindern, daß es dem Volk besser geht. Und mit diesen Feinden muß man abrechnen, notfalls mit Hilfe solcher Prozesse, die eindeutig politisch sind.“
Daß an Starowojtow nur ein weiteres Exempel statuiert werden soll, vermutet auch die Moskauer Wochenzeitung Moskovskie Novosti: „Starowojtow ist nicht nur ein einfacher Angeklagter. Er ist ein Symbol. Ein Symbol dessen, wie ein Mensch an das Neue geglaubt und versucht hat, danach zu leben. Und dafür muß man bezahlen. Für die Freiheit muß man immer bezahlen. Daher ist auch der Käfig notwendig. Denn außer der Gerichtsverhandlung geht es auch noch darum, einen Menschen zu erniedrigen.“
Erniedrigung ist das eine, die Tatsache, daß Starowojtow den Prozeß vielleicht mit seinem Leben bezahlt, das andere. Das hatte er schon vorausgeahnt. Bereits bei seiner Verhaftung hatte er gesagt: „Lebend wird er (Lukaschenko) mich nicht mehr herauslassen. Er wird mich umbringen.“
Zugrunde gerichtet hat Lukaschenko zumindest schon das einst florierende Unternehmen Rassvet. Sofort nach Starowojtows Verhaftung wurde die Aktiengesellschaft wieder in eine Kolchose umgewandelt, ihr Chef von Lukaschenko höchstpersönlich eingesetzt. Der neue Vorsitzende von Rassvet bildete sich bereits in Sachen Management in Deutschland weiter: nach Meinung des Präsidenten mit großem Erfolg.
Derzeit ist Rassvet wieder da, wo über 70 Prozent der weißrussischen Landwirtschaftsbetriebe herumdümpeln: im roten Bereich. Die Mitarbeiter, die einst zu den Spitzenverdienern ihrer Branche zählten, werden wieder, wenn überhaupt, in Naturalien entlohnt. „Uns geht es schlecht“, sagt ein Kolchosarbeiter. „Früher leuchteten sogar nachts die zwei Sterne Starowojtows, aber jetzt werden wir die Morgendämmerung wohl nicht mehr erleben.“
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