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KommentarDie Stunde der Sieger

■ Öcalans Festnahme allein ist keine Lösung des Kurden-Problems

Die Türkei hat gesiegt. Nach Kriegsdrohungen gegen Syrien, Handelsboykott gegen Italien und weiteren Protestnoten an jede europäische Adresse, die PKK-Chef Abduallah Öcalan entgegenzukommen schien, ist die türkische Regierung jetzt am Ziel: „Apo“ (“Väterchen“), wie ihn seine Anhänger nennen, ist geschnappt und wird in der Türkei vor Gericht gestellt.

Was jetzt kommt, ist die Stunde der Sieger. Vor allem Bülent Ecevit, der 73jährige Interims-Regierungschef der Türkei, steht nun vor einer der entscheidenden Situationen seiner politischen Laufbahn. Wird Ecevit, wird das türkische Establishment, werden die türkischen Militärs dazu in der Lage sein, jetzt auf die kurdische Bevölkerung zuzugehen, ihnen ein politisches Angebot zu machen? Oder werden sie versuchen, ihren schon errungenen militärischen Sieg durch anhaltende Repression abzusichern?

Der Prozeß gegen Öcalan wird schnell zeigen, ob es um Rache oder Gerechtigkeit geht. Ecevit hat in seiner ersten Stellungnahme einen fairen Prozeß versprochen. Die Einlösung dieser Zusicherung ist eine Voraussetzung, damit der Krieg im Südosten des Landes wirklich beendet werden kann. Dazu gehört aber auch, daß der türkische Staat anerkennt, daß innerhalb seines Landes Menschen leben, die sich als Kurden verstehen und dennoch zur Türkei dazugehören. Die türkischen Politiker und Militärs müssen verstehen, daß ein kurdischer Fernsehsender, Kurdisch als Unterrichtssprache in der Grundschule und Kurdisch als zweite Amtssprache in den überwiegend kurdisch besiedelten Gebieten der Türkei nicht zu Separatismus führen, sondern zu Integration.

Wenn die türkische Regierung jetzt politisch klug handelt, gibt es vielleicht eine Chance zum Frieden, kommen die „jungen Leute“ der PKK, an die Ecevit appeliert hat, vielleicht tatsächlich von den Bergen und legen ihre Waffen nieder. Bleibt der türkische Staat so stur wie bislang, wird gegen Öcalan nun ein Siegertribunal inszeniert, dann werden Selbstmordaktionen, Bombenattentate und Anschläge von PKKlern nicht ausbleiben.

Die PKK mag militärisch besiegt und ihr Rückzugsgebiet im Irak und in Syrien versperrt sein, sie hat aber allemal noch genug Leute, die bereit sind, als lebende Bombenträger jede Stadt in der Türkei unsicher zu machen. Bülent Ecevit muß nun zeigen, ob er wirklich das Zeug zu einem Politiker hat. Jürgen Gottschlich

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