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Schnelle Ausweisung lautet das „Gebot der Stunde“

■ Für eine Verschärfung der Ausweisungsbestimmungen kann Otto Schily auf die Opposition zählen

Abschiebung möglichst schnell. Politiker fast aller Parteien scheinen sich darüber einig zu sein, militante Kurden in die Türkei auszuweisen. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hat angedeutet, die deutschen Ausweisungsbestimmungen zu verschärfen. Schon am Donnerstag kommender Woche wollen er und die Länderminister für Inneres und Justiz darüber beraten. Unterstützung bekommt er dabei von der Opposition. Erwin Marschewski, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hält eine schnelle Ausweisung für das „Gebot der Stunde“. Auch der FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle fordert die „konsequente Abschiebung“ aller kurdischen Straftäter.

Rund eintausend Kurden sitzen zur Zeit über das Land verteilt in Polizeigewahrsam. Sie sollen nun, wie es Kanzler Schröder versprach, die ganze „Härte des Gesetzes“ zu spüren bekommen. Wer sich nicht an die Gesetze halte, müsse das Land verlassen.

Ausländer, die sich hier an verbotenen Versammlungen und Protestaktionen beteiligen, können zwar nach der bestehenden Rechtslage ohne rechtskräftiges Urteil oder Gerichtsverfahren ausgewiesen werden. Das bedeutet aber nicht zwingend auch die Abschiebung, bestätigte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums gegenüber der taz. Drohen im Heimatland Folter und andere staatliche Repressalien, darf nicht abgeschoben werden. So sieht es die Europäische Menschenrechtskonvention vor.

Eine Abschiebung in die Türkei käme einem „Todesurteil gleich“, sagte die Grünen-Politikerin Angelika Beer. Es dürfe kein Mensch in ein Land abgeschoben werden, wo nachweislich gefoltert werde und Politiker verschwänden. Der Vorsitzende des Innenausschusses im Deutschen Bundestag, Willfried Penner (SPD), sieht aus den gleichen Gründen rechtliche Schwierigkeiten für die Abschiebung straffälliger Kurden. Die Türkei habe ihre „bekannten rechtsstaatlichen Defizite“.

Diese Rechtsprobleme sind auch dem bayerischen Innenminister Günther Beckstein (CSU) bekannt. Eine schnelle Ausweisung sei nach der geltenden Rechtslage nicht möglich. Deshalb müsse eine „völkerrechtliche Vereinbarung“ mit der Türkei her. Darin soll die Türkei verpflichtet werden, abgeschobene Kurden „nicht unangemessen“ zu bestrafen.

Die Europäische Polizeigewerkschaft geht noch einen Schritt weiter. Ihr Vorsitzender Hermann Lutz will „militante Kurden, die sich hier quasi terroristisch verhalten“, an die Türkei ausliefern. Becksteins Amtskollege in Niedersachsen, Innenminister Heiner Bartling (SPD), hält solche Ideen für „Schnellschüsse“. Man müsse nicht auf jeden Vorfall mit Gesetzesänderungen reagieren. Volker Beck, Rechtsexperte der Grünen, sagte, an den Abschiebehindernissen werde man nichts ändern können. Abschiebung sei kein Mittel, um Straftaten zu begegnen. Die PDS-Abgeordnete Petra Pau sieht am Horizont „eine unheilige Allianz“ zwischen Schily und Beckstein heraufziehen.

Unterdessen hat der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU- Bundestagsfraktion, Jürgen Rüttgers, eine Linie gezogen von den Kurdenprotesten zur Reform des Staatsbürgerschaftsrecht. Wäre der Entwurf von Innenminister Schily schon Gesetz, wären viele der hier lebenden Kurden Deutsche. Und die könnten dann überhaupt nicht mehr abgeschoben werden. In das Gesetz gehöre deshalb eine Sicherungsklausel, die eine Einbürgerung extremistischer Ausländer verhindere.

SPD-Bundesgeschäftsführer Ottmar Schreiner warf Rüttgers vor, die gewalttätigen Ausschreitungen der Kurden für eine Hetzkampagne gegen die Bundesregierung mißbrauchen zu wollen. Der Schily-Entwurf verhindere schon in seiner jetzigen Fassung die Einbürgerung von Extremisten. Kurdische PKK-Aktivisten hätten keine Chance auf die deutsche Staatsangehörigkeit. Thorsten Denkler, Bonn

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