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Teure Arbeit schafft sicheren Standort

Arbeit muß günstiger werden, wird derzeit gern gefordert. Zwei rot-grüne Denkfabriken aus Nordrhein-Westfalen halten dagegen: Die „Zukunft der Erwerbsarbeit“ sei gesichert, wenn sich die Politik auf die Verbesserung von Bildung und Produktqualität konzentriere statt auf die Verbilligung von Arbeit  ■ Von Hannes Koch

Das Buch hätte auch heißen können: „Keine Angst vor der Globalisierung“. Doch der Titel war schon vergeben. So mußte sich Herausgeber Gerhard Bosch, Vizepräsident des Instituts für Arbeit und Technik in Gelsenkirchen, etwas anderes überlegen und kam auf „Zukunft der Erwerbsarbeit“.

Das Thema ist en vogue. Kaum eine Woche, in der nicht Kongresse und Veranstaltungen sich der Massenarbeitslosigkeit widmen. Viele erheben den Anspruch, fächerübergreifend verschiedene Diskussionsansätze zu verbinden – oft zu Unrecht. Im vorliegenden Kompendium dagegen gelingt ein Cross-over.

Das nimmt nicht Wunder angesichts der Herkunft der AutorInnen. Von 23 Beitragenden stammen fünfzehn aus zwei rot- grünen Denkfabriken in Nordrhein-Westfalen. Während die Gelsenkirchener eher die Überlegungen zum Arbeits- und Sozialsystem beisteuern, kommen vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie die ökologischen Aspekte.

Das Werk taugt durchaus als Leitfaden eines modernen Sozialliberalismus, den die rot-grüne Bundesregierung zur Hand nehmen kann, ohne völlig aus dem Konzept zu kommen.

Die zentrale Frage lautet: Wie können in Zeiten zunehmender internationaler Wirtschaftskonkurrenz und größerer Beweglichkeit des Kapitals gleichzeitig neue Arbeitsplätze geschaffen, das im Vergleich zu Großbritannien und den USA relativ einheitliche deutsche System hoher Löhne erhalten und der Verbrauch der natürlichen Ressourcen eingedämmt werden? Die AutorInnen betrachten dabei hohe Löhne nicht als Gefahr – ganz im Gegenteil. Was die Arbeitgeberverbände so oft als entscheidenden Nachteil gegenüber den polarisierten angloamerikanischen Lohnsystemen anprangern, feiern Bosch & Co als wesentlichen Kraftquell der deutschen Volkswirtschaft. Die Position des Buches mündet in den provozierenden Satz: „Die Entscheidungen über die Löhne von morgen fallen also nicht in Peking, sondern in den Bildungseinrichtungen.“

Die bundesrepublikanische Wirtschaft lebe davon, hochtechnisierte Produkte in kapitalintensiven Verfahren herzustellen und zu exportieren. Das sei aber nur dann möglich, wenn die Betriebe auf bestausgebildete Leute zurückgreifen könnten. Die aber kriege man nur, wenn sowohl der Staat als auch die Wirtschaft ordentlich investierten – ersterer in die Bildung, letztere in die Löhne.

Qualität, Konkurrenzfähigkeit und Exportüberschüsse hätten eben ihren Preis, meinen die Institute. Wer hingegen auf Lohnsenkung setze und befürworte, daß ein Niedriglohnsektor entsteht, laufe Gefahr, die Produktkonkurrenz zu Ländern mit niedrigeren Löhnen zu verlieren. Die nämlich könnten einfachere Güter und Dienstleistungen in jedem Fall billiger anbieten und damit einen etwaigen deutschen Billiglohnsektor ausstechen: eine verheerende Spirale abwärts.

Das Geheimnis, so Bosch, bestehe schlicht darin, immer eine Innovationsrunde schneller zu sein als der Rest der globalisierten Weltwirtschaft. Die Qualitätssteigerung bei Produkten, Verfahren und Arbeit wird damit zum Dreh- und Angelpunkt der wirtschaftspolitischen Zukunftsstrategie. Die Ökosteuer etwa darf nicht zum bloßen Finanzierungsinstrument des Lafontainschen Haushalts verkommen, sondern dient als „Produktivitätspeitsche“ im Sinne des gerade schwer angesagten Politikkonzepts der „Re-Regulierung“ dazu, energiesparende und umweltschonende Produkte herauszukitzeln. Eine Professionalisierung bei den „kleinen“ Dienstleistungen im häuslichen Bereich kann Nachfrage nach neuen Betreuungsangeboten schaffen.

Trotz der dargebotenen Breite und Güte der Argumentation freilich erscheint der Ansatz mitunter eindimensional. Hier und da thematisieren die AutorInnen zwar ihre Zweifel am eigenen Rezept – um sich im nächsten Moment selbst am Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Gerhard Bosch etwa räumt ein, daß traditionelles Wirtschaftswachstum allein nicht ausreichen dürfte, um genug neue Jobs zu kreieren. Aber da gebe es ja noch das Mittel der Arbeitszeitverkürzung. Glück gehabt! Die Erkenntnis jedoch, daß seit Jahrzehnten nicht nur die Beschäftigung, sondern auch die Arbeitslosigkeit zunimmt, wird nicht fruchtbringend verarbeitet.

Es bleibt der Verdacht, daß die gepriesene Strategie sich eben doch nicht als so wirkungsvoll erweisen könnte, wie erhofft. Die blinden Flecken des sozialdemokratisch-grünen Innovations- und Dienstleistungsoptimismus liegen da, wo die Institute sich an der imaginären Kampflinie zwischen Nordost und Südwest bewegen.

Es hagelt Seitenhiebe in Richtung der bayerisch-sächsischen Zukunftskommission, die einem Billiglohnsektor das Wort redet. Und auch Patrick Liedtke, Autor des jüngsten Club-of-Rome-Berichts zur Zukunft der Arbeit, bekommt sein Fett ab. Während bei Bosch und seinen KollegInnen die Finanzierung der Arbeit perspektivisch ausschließlich über den ersten Arbeitsmarkt erfolgt, geht etwa Liedtke davon aus, daß der Staat die Joblücke nur schließen kann, wenn neue gesellschaftliche Lohnbestandteile hinzukommen. Denn, so die Diagnose, Dienstleistungen in Betreuung, Erziehung, Pflege, Stadtteil- und Sozialarbeit würden zwar nachgefragt, doch viele Leute könnten sie sich nicht leisten, wenn die AnbieterInnen marktförmige und existenzsichernde Preise dafür in Rechnung stellen würden. Ergo: Die Gesellschaft muß zusätzliche Umverteilungs- und Finanzierungsinstrumente ausprobieren, die eigentlich vorhandenen Tätigkeiten dadurch zum Job machen, daß jenseits des Marktes Geld ausgegeben wird.

Derartige Überlegungen zum zweiten, staatlich geförderten und dritten Arbeitsmarkt der gemeinnützigen Tätigkeiten bleiben jedoch außer acht. Der in „Zukunft der Erwerbsarbeit“ angebotene Politikmix wäre wahrscheinlich wirkungsvoller, wenn auch alternative Strategien einbezogen würden.

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