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„Maaa-ma“ in der Glocke

■ Kammerorchester Maria Grevesmühl gestaltete zweites Familienkonzert mit viel Mut

Es ist Sonntag, elf Uhr, der zwölfjährige Felix sitzt am Flügel und klimpert versonnen vor sich hin, kritzelt mit dem Federkiel etwas auf ein Notenblatt, klimpert wieder – an dem höfischen Gewand war allen sofort klar, daß es sich hier um ein Wunderkind handeln muß. Sonntag, elf Uhr, der kleine Saal der Glocke ist brechend voll, vorn vor den Stuhlreihen haben sich 80 drei- bis zwölfjährige Kinder auf dem Boden niedergelassen, um nichts zu verpassen. Es ist die wachsende Fan-Gemeinde der neuen Serie der Familienkonzerte. Der „Felix“ ist in Wahrheit ein Musikstudent der Hochschule für Künste, der als Schauspieler in die Strei-cherserenade, ein Jugendwerk von Felix Mendelssohn-Bartholdy, einführt. Beim Spiel selbst sitzt er dann mit der Bratsche im Kammerorchester Maria Grevesmühl der Hochschule.

Mehr „zum Mitmachen“, wie das Programm ankündigte, war dann das zweite Stück: „Circle“ des Chinesen Van Dan. Ein experimentelles, zeitgenössisches Werk, bei dem vier getrennt gesetzte Trios zarteste Klangformen in den Raum geben. Der Dirigent gab sich vergeblich Mühe, die Kinder zu vollkommener Ruhe und Konzentration anzuhalten, in die schönste Stille ertönte dann doch das „Maaa-ma“ eines verlorenen Sohnes.

Aber die Aufmerksamkeit für experimentelle Musik soll ja auch unter erwachsenem Publikum nicht immer vorbildlich sein. Die Kinder hatten also nur die üblichen Probleme mit diesem Werk, das ohne melodische Struktur ist und als Aneinanderreihung von spannenden Klangeindrücken hohe Anforderungen an die Hörgewohnheiten stellt. Immerhin durften die Kinder mitmachen, so will es auch der Komponist, zweimal mit einem gehauchten Wind und einmal auch mit einem Gewisper, das sich zu lautem Schreien aufschäumt. „Jetzt wißt ihr auch, was ein Crescendo ist“, erklärte der Dirigent, der derartige pädagogische Experimente offenbar selten macht, den staunenden Kindern. In der Pause durfte, wer sich traute, eine richtige Geige oder ein Cello in den Arm nehmen und streichen, das war für viele sicherlich der Höhepunkt dieses „Familienkonzertes“.

Bei der Einschätzung, wie lange Kinder sich konzentrieren können, fehlte das Verständnis – nach einer Stunde stand noch Dvoraks Sere-nade op. 22 auf dem Programm. Da waren viele der Kleineren schon auf dem Heimweg, um das Mittagessen nicht zu verpassen. K.W.

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