: Alternativen zum Arbeitslosenalltag
■ Selbstorganisiert und streitbar: In der Bauernstraße tagte ein Kongreß über eine ganz neue Arbeitsmarktpolitik von unten
Arbeitsplatzverlust und Jobber-Biographien gehören längst zur Normalität: Der Arbeitsmarkt befindet sich in einem krisenhaften Umbruch. Vor dem Hintergrund dieser Analyse hatte der „Bildungs- und Gegenseitige Unterstützungsverein erwerbsarbeitender und erwerbsarbeitsloser Menschen“ am Wochenende zum Kongreß „Kämpferisch und selbstorganisiert in die Zukunft“ in die Bauernstraße eingeladen. Das Ziel: Ideen zu sammeln für eine neue Arbeitsmarktpolitik von unten.
Rund vierzig Menschen waren gekommen, darunter viele Betroffene. Schnell wurde deutlich: Nicht nur der Arbeitsplatzverlust ist ein Problem, sondern auch der gesellschaftliche Umgang damit. „Wenn heute Leute entlassen werden, steigen die Aktien. Arbeitslosigkeit gehört zum System. Trotzdem tut man so, als wäre sie vermeidbar“, kritisierte Till Mossakowski vom Unterstützungsverein. Dabei ist zum Beispiel das jetzige Arbeitsförderungsgesetz gar nicht mehr zeitgemäß, kritisierte Katja Barloschky vom Verband Bremer Beschäftigungsträger. Die Instrumente würden aus den 60er Jahren stammen – als Vollbeschäftigung noch kein Fremdwort war. Daß so etwas heute nicht mehr greift, wunderte Till Mossakowski überhaupt nicht: „Die Leute werden doch nur durch eine Maßnahme nach der anderen geschleust, ohne daß sie wirklich eine Perspektive bekommen.“
Gegenvorschlag der Organisatoren und Kongreßteilnehmer: Weg mit dem Mythos, Erwerbsarbeit sei das einzig Erstrebenswerte im Leben. Die Alternative dazu soll aber keineswegs hedonistisches Abhängen sein. Vielmehr ging es im Projekthaus darum, Gegenentwürfe zum Arbeitsalltag vorzustellen, in denen sich die Menschen zum einen sinnvoll einbringen können, und die zum anderen auch praktisch etwas nützen.
Die Schreinerwerkstatt im Projekthaus, Tauschringe oder Selbstversorger-Projekte zum Beispiel. Tauschring-Mitglied Wilhelm: „Da kann man hingehen, tut was und hat auch noch soziale Kontakte. Mir bringt das sehr viel.“ Damit Arbeitslose diese Alternativen aber überhaupt kennenlernen können, wurde auch über eine neue Form der Arbeitslosenberatung nachgedacht.
So berichtete John Webb vom Zentrum für Weiterbildung aus seiner Praxis als Berufsberater in den Vereinigten Staaten: „Dort habe ich meine Aufgabe nicht darin gesehen, Leute zu etwas zu bringen, was sie vielleicht wieder für den Arbeitsmarkt attraktiv macht. Ich wollte mit Ihnen eher einen roten Faden für ihr Leben erarbeiten. Sie sollten herausfinden, was sie wirklich machen wollen.“
Was aber, wenn die Infrastruktur der selbstorganisierten Initiativen nicht ausreicht, um für die Betroffenen Alternativen zu bieten? Hilmar Kunath von der Hamburger Zeitung „contraste“: „Wir haben unsere Beratungsaktivitäten wieder zurückgefahren, weil wir noch viel mehr Angebote haben müssen.“ Ein „Umsonst-Laden“, zu dem Leute bringen, was sie nicht mehr brauchen, ist das jüngste Projekt der Hamburger.
Auch die Gesetzgebung steht den selbstorganisierten Alternativen zum Arbeitslosenalltag im Weg. Selbst wenn man sich für den Tauschring engagiert, den Stadtteil begrünen oder ehrenamtlich Kinder betreuen möchte, geht das bislang nur, solange das Arbeitsamt das nicht mitbekommt. Daß die Kongreßteilnehmer diese Tätigkeiten im Gegensatz zum bisherigen Arbeitsbegriff als „neue Arbeit“ verstanden wissen wollten, interessiert die Ämter bislang wenig. „Du mußt regelrecht lügen, wenn du selbstorganisiert arbeiten willst“, schimpfte eine Kongreßteilnehmerin. „Wer sich nicht 24 Stunden am Tag für den Arbeitsmarkt zur Verfügung hält, riskiert, daß sein Geld gekürzt wird.“
Für Christian vom Unterstützerverein ist deshalb klar: „Die Aufhebung der Verfügbarkeitsregelung muß her.“ Vertreter des Arbeitsamtes, die sich dazu äußern könnten, waren allerdings zu diesem Kongreß noch nicht eingeladen. „Wir wollten erstmal unsere eigenen Positionen klar erarbeiten“, sagt Kongreß-Organisator Till Mossakoswki. Fazit: Beim Durchsetzen einer Arbeitsmarktpolitik von unten gibt es noch jede Menge Arbeit. L.R.
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