■ Warum gibt es kein Rambouillet für Kurden und Türken?
: Die guten und die bösen Separatisten

Zwischen den zwei Millionen Albanern im Kosovo und den zwölf Millionen Kurden in Ostanatolien gibt es Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Beide haben wenig Grund, sich in ihrem Staatswesen heimisch zu fühlen. Beide erleiden politische Verfolgung. Die Kosovaren setzen sich mit Waffen zur Wehr. Die Kurden auch. Die Kosovaren wollen ihren eigenen Staat. Die Kurden nicht. Den Traum von Unabhängigkeit und Vereinigung mit den Brüdern und Schwestern im Irak, im Iran und in Syrien haben die türkischen Kurden längst aufgegeben. Nicht einmal die radikalen Nationalisten halten noch daran fest. Jetzt geht es um politische Gleichstellung, um Vertretung im Parlament, um das Recht auf kulturelle Identität und auf die eigene Sprache – Forderungen, die im übrigen Europa inzwischen Verfassungsstandard sind.

Fünfzehn Jahre lang hat der Westen zugesehen, wie die Türkei den Widerstand der anatolischen Kurden militärisch niederwalzte. 30.000 Menschen fielen dem ungleichen Kampf zum Opfer. Dasselbe Desinteresse erfuhren für ein Jahrzehnt die Albaner im Kosovo. Erst als sie vom gewaltlosen Protest zur militanten Aktion übergingen, wurden sie ernst genommen. Binnen Jahresfrist erlangten sie den Status einer internationalen Verhandlungspartei.

Wäre es nicht an der Zeit, auch die Türken und Kurden zum Friedenschließen nach Rambouillet zu beordern? Offenbar entscheiden in Europa nationale Interessen und politische Opportunität, ob bewaffnete Auflehnung gegen repressive Herrschaft als Freiheitskampf oder als Terrorismus gilt. Für eine Wertegemeinschaft, als die sich der Westen versteht, ist die Doppelzüngigkeit unwürdig. Zählt die territoriale Integrität der Türkei mehr als die Jugoslawiens? Sind die UČK und die PKK aus verschiedenem Holz geschnitzt? Gibt es guten und bösen Separatismus? Daß Europa in unterschiedlicher Weise betroffen ist, widerlegt tagtäglich das Flüchtlingselend an der Küste Apuliens: Dort sitzen Albaner und Kurden buchstäblich im selben Boot.

Der Regierung in Ankara wird nachgesehen, wenn sie ihre innenpolitischen Gegner auch über die Landesgrenzen hinaus verfolgt. Regelmäßig operiert sie mit regulären Streitkräften in Divisionsstärke auf dem Hoheitsgebiet eines Nachbarstaates, ohne Sanktionen oder militärische Drohungen befürchten zu müssen. Man stelle sich vor, Belgrads Truppen würden die Versorgungsbasen der Kosovo-Kämpfer in Albanien angreifen. Soll sich der Eindruck erhärten, ein Unterdrückerstaat brauche nur der Nato anzugehören, um straflos davonzukommen? Reinhard Mutz

Stellvertretender Direktor des Friedensinstituts in Hamburg