Kommentar: Weniger, langsamer, gründlicher
■ Die Koalition muß ihre Arbeit konzentrieren
Es ist unbekannt, was Jürgen Trittin empfunden hat, als Kanzler Schröder ihm am Aschermittwoch öffentlich drohte: Wer nicht hören will, muß fühlen! Aber es wird für den Umweltminister schmerzhaft gewesen sein, dazu verdonnert zu werden, eine Atomgesetznovelle zu veranlassen, in der kein Wort mehr über das Verbot der Wiederaufarbeitung zu finden ist. Der weitere Ausstieg wird nun im Konsens mit den Konzernen gefunden – nicht mehr im Einklang mit dem Koalitionsvertrag.
Die Niederlage war absehbar. Trittin hat, was dem Ex-Mitglied des Kommunistischen Bundes eigentlich nicht hätte passieren dürfen, die Machtverhältnisse nicht im Auge behalten. Auch das Projekt doppelte Staatsbürgerschaft ereilt ein ähnliches Schicksal. Die gesellschaftlichen Mehrheiten erzwingen eine Kurskorrektur, die dem Willen des eigenen Anhangs widerspricht. Darüber mag nun so mancher von der Warte der höheren Vernunft aus wortreich zetern, doch auch eine rot- grüne Koalition ist nun mal nicht in der Lage, sich ein anderes Volk zu basteln. Tatsächlich ist sie damit konfrontiert, daß eine Reihe ihrer Positionen auf gehörigen Widerstand stoßen. Zudem der Konsens – jenes in linken Kreisen einst verrufene Politikmodell – mittlerweile hoch im Kurs steht. Von daher tut die Regierung gut daran, ihre Vorhaben zu entschleunigen. Sie sollte in ihnen nicht mehr nur die Umsetzung eines vereinbarten Programms sehen, sondern auch ein Angebot zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Das erfordert klare Leitbilder, an denen die Reformwerke dann zu messen sind.
Diese Leitbilder haben bei der Reform der 630-Mark-Jobs gefehlt, und sie fehlen nun bei der Umgestaltung der Einkommensteuer. Es tut den Vorhaben keinen Abbruch, wenn sie im Rahmen der gesellschaftlichen Debatte teilweise revidiert werden. Ihre Komplexität bedingt geradezu die Einbeziehung vieler Impulse. Noch neigt die Koalition dazu, die Öffentlichkeit allwöchentlich mit mehr oder minder ausgereiften Ideen zu bombardieren, deren Ziele allenfalls in den Reihen des Koalitionspartners zu vermuten sind.
Nun hat sich die Viererbande Schröder, Lafontaine, Trittin und Fischer an die Bündelung der rot-grünen Politik gemacht. Darin ist noch keine Lösung des Problems zu erkennen, es verdeutlicht aber, welches Gewicht ihm mittlerweile intern beigemessen wird. Dieter Rulff
Bericht Seite 6
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