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Ein Schaumbad in der Tradition

Mit dem stoischen Selbstverständnis eines afroamerikanischen Bohemiens: Der House-Produzent Theo Parrish aus Chicago versucht alte Meister wie Miles Davis und Charlie Parker zu neuem Leben zu erwecken  ■ Von Tobias Rapp

Seit vergangenem Jahr ist House wieder da. Richtig verschwunden war die Musik zwar nie, aber nachdem einige Jahre lang nur dazu getanzt wurde, enterte House letztes Jahr auch wieder die Gespräche. Das lag zum einen an Daft Punk, Motorbass, Superdiscount und den Folgen, all den Tracks, die vor allem durch exzessiven Filtergebrauch auffielen und als French House über die Tanzflächen, in die Wohnzimmer schicker Großstadtbewohner und auch in die Charts schwappten; und zum anderen lag das an Theo Parrish.

Während die französischen Produzenten durch gutgemachte Videos und die schiere Größe des Erfolgs die ganze Welt einluden, an ihrer übermütigen House-Sause teilzuhaben, pflegte Theo Parrish genau das Gegenteil. Mit dem Selbstverständnis eines afroamerikanischen Souterrain-Wohnungs- Bohemisten in der Bebop-Nachfolge stellte er sich hin und verkündete, daß über seinem House-Altar ein Poster von Charlie Parker hänge. Das sorgte natürlich für einiges Aufsehen, das war mehr als überraschend, denn solche Töne, ausgerechnet von einem Houseproduzenten, war niemand so richtig gewohnt. Der offensive Bezug auf die afroamerikanische Musiktradition galt bisher als Domäne der HipHopper, und die haben bekanntermaßen für viele Musikstile etwas übrig, bloß nicht für House.

Aber Theo Parrish ist es ernst. Er lebt in Chicago, ist aufgewachsen mit allem, was zwischen Miles Davis, Jimi Hendrix und Stevie Wonder in seiner Jugend im Radio lief. Und seit er produziert, versucht er die alten Meister in House zu neuem Leben zu erwecken. Dieses Projekt betreibt er aber mit einer Kompromißlosigkeit, die ihm zumindest in den Vereinigten Staaten das Leben nicht gerade erleichtert. Zu wenig paßt sein Sound in irgendein Format. In Europa hat er es da einfacher. Mit einer gewissen räumlichen Distanz münzt sich die konsequente Weigerung, die reine Lehre an den weißen Mann zu verscheuern, anscheinend in Authentizität um.

So hockt Parrish in seiner kleinen und dreckigen Wohnung, zwischen verstaubten Tischen und heruntergekommenen Baßlautsprechern und produziert große und dreckige Tracks. Dazu badet er in der Tradition. Nicht nur, daß er ohne alte Singles nicht in die Badewanne steigt – so stellt er sich wenigstens auf seinem CD-Cover dar. Seine Stücke strotzen vor musikhistorischen Referenzen.

Doch versucht Parrish den alten Schnipseln Respekt zu erweisen, indem er ihnen eine Rauheit verleiht, die seine Tracks ähnlich verstörend machen, wie die alten Stücke damals geklungen haben mögen.

Wenn Parrish etwa James Brown sampelt, hört sich das an, als sei der Geist des Funk in eine Flasche gesperrt worden und trommle nun wie ein Springteufel von innen gegen das Glas. Anderswo stolpern scheinbar irregeleitete Pianoloops über kaputte Bassdrums, und dazwischen hupt und trötet es aus den Ecken.

Doch in manchen Stücken bauen sich aus fünf Sekunden eines alten Miles-Davis-Stücks minutenlange Tracks auf, deren drei Noten lange Bläserlinie einem den ganzen Abend im Ohr und auch in den Beinen hängenbleiben kann. Alle Tracks von Parrish sind von einem hypnotischen Low-Fi- Charme durchtränkt. Denn Parrish beschränkt sein Equipment auf nur vier Geräte. Und die programmiert er auch nicht, sondern läßt sie laufen und mischt die Spuren dann live so zusammen, wie er es haben will. Das gibt seinen Tracks eine rauhe Oberfläche und hört sich an wie Low-Fi-House mit einer Jazz-Attitüde.

Bei seinen DJ-Sets soll Parrish jedoch weniger sperrig auflegen, als seine Produktionen sich anhören. Ganz im Gegenteil – ihm eilt der Ruf voraus, beim Auflegen vor allem die legere Offenheit zu übernehmen, die ihn auch beim Produzieren seiner Platten trägt. Vom Mitte-Siebziger-Disco-Sound der Marke Salsoul bis in das Herz der Neunziger. „Die Underdogs haben immer recht“ (spex), also: House till you drop.

Theo Parrish legt heute abend ab 23 Uhr im WMF auf, Johannisstraße 2, Mitte

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