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Sudetendeutsche werden nicht mehr gehätschelt

■ Bundeskanzler Schröder versichert seinem tschechischen Amtskollegen Miloš Zeman, daß Forderungen von Vertriebenenverbänden die deutsche Außenpolitik nicht mehr belasten werden

Berlin (taz) – Wenigstens für die sozialdemokratisch geführte Regierung Tschechiens hat sich der Regierungswechsel in Deutschland gelohnt. Seinem tschechischen Kollegen Miloš Zeman hat Gerhard Schröder gestern in Bonn versichert, Forderungen der Vertriebenenverbände „werden künftig nicht mehr die deutsche Außenpolitik belasten“.

Nach dieser Festlegung kann die Sudetendeutsche Landsmannschaft nicht mehr auf Unterstützung für Entschädigungsforderungen an die Adresse Tschechiens rechnen. Solche Forderungen der Landsmannschaft und des Bundes der Vertriebenen haben den bisherigen Prozeß der tschechisch-deutschen Aussöhnung begleitet. Die Aufhebung der Vertreibungs- und Enteignungsgesetze, der „Benes“- Dekrete, die nach 1945 von der tschechoslowakischen Regierung erlassen worden waren, stand dabei stets im Zentrum des sudetendeutschen Forderungskatalogs.

Zwar hatte auch die alte Bundesregierung dieses Entschädigungsbegehren nicht ausdrücklich unterstützt. Das blieb das Privileg der bayerischen Staatsregierung, die ihre Fürsorgepflicht für den neuen bayerischen „Stamm“ der Sudetendeutschen herausstrich. Edmund Stoiber und die Seinen gehen dabei bis heute so weit, den Beitritt Tschechiens zur EU von der Aufhebung der „Benes-Dekrete“ abhängig machen zu wollen. Der damalige Außenminister Kinkel hingegen hoffte, das Problem durch Schweigen beerdigen zu können. Dann aber redete er. Aus seiner Sicht habe das Potsdamer Abkommen – das immerhin die Aussiedlung der Deutschen aus Polen und der Tschechoslowakei besiegelte – für Deutschland keine Gültigkeit. In der Folgezeit heizte die Rechtsunsicherheit (auch in den neu abgeschlossenen Verträgen waren Vermögensfragen ausgeklammert) die nationalistische Agitation in Tschechien an.

Zemann wiederholte in Bonn die tschechische Auffassung, wonach die „Benes-Dekrete“ durch Zeitablauf erledigt wären, mithin auch nicht aufgehoben werden müßten. Dieser pragmatisch vernünftigen These widersprechen auch nicht zwei Urteile, die das tschechische Verfassungsgericht zugunsten von Bürgern gefällt hatte, die durch die Benes-Dekrete enteignet wurden. Denn diese Sudetendeutschen waren tschechoslowakische Bürger geblieben und die Gerichte urteilten, daß in ihren konkreten Fällen die Dekrete rechtsirrtümlich angewandt worden waren.

Wer kann für die nach Deutschland vertriebenen Sudetendeutschen gegenüber Tschechien als Rechtsnachfolger der Tschechoslowakei Ansprüche geltend machen? Nach Auffassung des Völkerrechtlers Christian Tommuschat kann das nur die Bundesregierung, nicht aber private Kläger. Zu Recht machte allerdings Tommuschat darauf aufmerksam, daß Deutschland dann mit Entschädigungsforderungen Tschechiens für Vermögensverluste im Zweiten Weltkrieg konfrontiert werden könne. Also besser Finger weg.

Bundeskanzler Schröder hat mit seiner gestrigen Erklärung in Kauf genommen, daß die Bundesregierung wegen Verletzung ihrer Fürsorgepflicht von enteigneten Sudetendeutschen verklagt wird. Dies zu vermeiden, war ein Lieblingsargument Kinkels für sein Schweigen gewesen. Aber die Bundesregierung kann solchen Klagen beruhigt entgegensehen. Verzicht auf Unterstützung fällt hier nach herrschender Rechtsmeinung unter die politische Ermessens- und damit Gestaltungsfreiheit des Bundes. Christian Semler

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