Irgendwann fängt die Zukunft an

Es flogen Luftballons, es brannten Wunderkerzen und Feuerzeuge – Nena war wieder zu Hause. In einem Konzert in der Columbia-Halle gab es viel zu erinnern sowie alte Freunde und alte Lieder zu begrüßen  ■ Von Volker Weidermann

Sie hatte extra einen Scheinwerfer montieren lassen. Einen grellen Erinnerungsscheinwerfer, der das Publikum weiß ausleuchtete, wann immer Nena zurückblicken wollte. Auf der Suche nach alten Freunden, neuen Fans und – ihrer Mami. „Irgendwo hier muß meine Mami sein! Hallo Mami!“ Und da alle Fans irgendwie auch Nenas Mami sind, wird wild zurückgewunken und der Begrüßungsluftballon geschwenkt. „Hallo, Nena!“ Schön.

Ingo ist um die sechzig, rundbäuchig, Hornbrillenträger, schwitzend, seine Frau im Arm. „Mensch, da ist ja auch der Ingo“, freut sich Nena, und Ingo freut sich auch. Der war bestimmt Nachbar oder so, von den Kerners, damals, als Nena anfing singend durch die Welt zu ziehen. Mit „Nur geträumt“ zum Beispiel und der schönen Zeile: „Ich werd' verrückt, wenn's heut passiert“, die der Gitarrist Carlo Karges dann so entschlossen lächelnd „tramm, tramm, tramm“ aufgriff.

Carlo Karges ist jetzt Mike und kommt aus New York. Mike soll auch Nenas Mami begrüßen, doch Mike schweigt. Wie überhaupt die Band Nenas Kindheitsbegeisterung nicht recht mitmachen will. Wie alt sie seien, fragt Nena sie. Etwas unwirsch geben sie mit „seven“ und „eight“ die gewünschte Auskunft. Mit Nena geht's ins Kinderreich. Je älter sie wird und je weiter ihre große Zeit zurückliegt, desto begeisterter vertritt sie eine entschlossene Kindlichkeit und propagiert das schöne Familienglück. Seit Jahren mit Kindern und Freund in einem kleinen nordfriesischen Landhaus wohnend, bringt sie die Gemütlichkeit mit auf die Bühne. Kronleuchter, große Kerzenständer unterm Sternenhimmel, und zwischendurch versammelt sich die Band auf einem braunen Sofa, trinkt Rotwein und spielt Walzerrhythmen, zu denen man dann nur Lalala singen muß und sich hin und her wiegt. Oder Mike aus New York singt „Take me home, country road“. „Ist das nicht toll?“ ruft Nena und seufzt immer wieder, wie schön es ist, wieder zu Hause in Berlin zu sein.

Ja, das ist toll, und es brennen Wunderkerzen und Feuerzeuge, und Luftballons fliegen, und für den, der an diesem Abend etwas verliebt ist, ist es überhaupt der schönste Ort. Punks sind da, mit ihren Kindern, und Jacketträger und Fritz-Hörerinnen vom Lande. Nena, große Menschenvereinigungskünstlerin. Da macht es auch fast nichts, daß die meisten späten Nena-Songs nicht viel mehr als schnöder Rock sind. Diese Songs scheinen ohnehin vor allem der Band zu gefallen. Nena kommt erst richtig aus sich heraus, wenn sie entweder „Ruby Tuesday“ von den Stones singen kann oder eben die Hits. Sie vergißt zwar mitunter Strophen oder singt Textzeilen so ganz schnell weg. Aber es braucht ja auch nur Anstöße, und die Nena-Erinnerungsmaschine läuft ganz von selbst: „Gestern, das liegt mir nicht“ oder (Lieblingszeile von Kollege G. Bitteschön): „Alles, was ich an dir mag, ich mein das so, wie ich es sag'.“

Und am Ende steht Nena dann ganz allein auf der Bühne, läßt Lieblingshits wünschen, singt die ganz allein so vor sich hin. Dann singt sie Kinderabzählverse und versinkt allmählich ganz und gar in ihre Nena-Erinnerungs-Kinderwelt. Die Fans wollen zwar lieber noch was Richtiges hören, aber sie sagt, entweder sie singt hier weiter ihre Abzählverse, oder sie singt eben gar nichts mehr.

Dann gehen die Erinnerungsscheinwerfer grell an und alle anderen Scheinwerfer auch. Das Konzert ist aus, Nena ist fort, und wir bleiben in einem bleichen Jetztzeitigkeitsschock zurück.