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Musik im Takt des Jahrhunderts

■ Radio Bremen und andere widmen der Bremer Komponistin Siegrid Ernst zu ihrem 70sten Geburtstag am Freitag ein Portraitkonzert

Die Frauenmusikszene in Deutschland ist ohne sie nicht zu denken. Als Mitbegründerin und langjährige Vorsitzende des „Internationalen Arbeitskreises Frau und Musik“ sowie als Organisatorin zahlreicher Festivals hat die Komponistin Siegrid Ernst entscheidend zu einem Bewußtseinswandel mit Blick auf die kulturellen Leistungen von Frauen beigetragen. „Komponistinnen, gibt es die?“ konnte man(n) noch vor 20 Jahren fragen. Heute hat feministische Forschung Tausende erfaßt, und das ist erst der Anfang. Eine Entwicklung, um die sich nicht zuletzt auch Siegrid Ernst verdient gemacht hat. Heute feiert sie ihren 70. Geburtstag.

Die Pianistin und Komponistin lebt und arbeitet seit 1970 in Bremen und entfaltet von hier aus ihre reiche künstlerische, pädagogische und kulturpolitische Tätigkeit. Sie unterrichtet bis heute an der Bremer Jugendmusikschule und an der Musikhochschule. Sie engagiert sich im Arbeitskreis Bremer Komponisten und Komponistinnen (ABK) und im Künstlerinnenverband Bremen (GEDOK).

Die Musik von Siegrid Ernst folgt einerseits neuen Techniken und interdisziplinären Ideen – sie arbeitete viel mit bildenden Künstlerinnen, Literatinnen und Performancekünstlerinnen zusammen. Sie ist aber andererseits immer bemüht, eine Musik zu schreiben, die sowohl für die Spieler als auch für die Hörer zu verstehen ist. So führte das Stadttheater Hagen eine Oper speziell für SchülerInnen auf, und Musikschulchef Heiner Buhlmann regte für ein internationales Jugendorchester das Werk „Peace now“ (1996) an.

„Ich habe keine Probleme damit, ganz bewußt auch für die HörerInnen zu schreiben“, sagt sie zur morgen abend stattfindenden Uraufführung eines Trios in der seltenen Besetzung Flöte, Viola und Gitarre. „Das soll Spaß machen, melodisch und rhythmisch, plastisch und emotional sein.“ Das ist eine Seite der flexiblen Ästhetik von Siegrid Ernst. Eine andere zeigt sich in „Spaltungen“ für Klavier und Elektronik, in dem sie zu einer elektronischen Spur einen Klavierpart komponiert hat. Ganz besonders interessiert sie auch die Zusammenarbeit mit Instrumentalisten. So entstand aufgrund einer Anregung des Saxophonisten Christoph Hansen die Komposition „e ... staremo freschi!“ Für ihre Leistungen erhielt Siegrid Ernst 1989 einen Ehrenprofessortitel der Interamerican University of Humanistic Studies in Florida.

Das Konzert am Freitag präsentiert neben Ernsts Werken noch Kompositionen ihrer jüngeren Kollegin Violeta Dinescu, die eine Professur für Komposition in Oldenburg betreut. Die in Rumänien geborene Künstlerin blickt auf eine andere Sozialisation zurück: „In Rumänien kommt kein Mensch auf die Idee, daß eine Frau nicht komponieren könne!“ Ihre Musik basiert auf dem uralten Zusammenhang zwischen Mathematik und Musik, aber auch auf den formalen Gesetzmäßigkeiten der Folklore ihres Landes, der sie einen strikt avantgardistischen, aber wuchernden eigenen Ausdruck gibt. Von ihr werden fünf Kammermusikwerke gespielt. Sie könnten eine sehr genaue Antwort auf die nie zu tötende Frage sein, warum neue Musik immer auch so schwierig sei. „Ich lebe im 20. Jahrhundert, mein Leben pulsiert danach, aber meine Quellen kommen aus früheren Jahrhunderten. Doch ein Künstler muß sich mit seinem Jahrhundert identifizieren“. Ute Schalz-Laurenze

Konzert am Freitag um 20 Uhr im Sendesaal von Radio Bremen

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