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Der König siegt, und keiner guckt hin

Zu Hause ist Artur Grigorian ein Nationalheiligtum, hierzulande aber nicht vermarktbar. Trotzdem verteidigt der usbekische Boxprofi seinen Weltmeistertitel heute in Lübeck  ■ Von Mathias Stuhr

Wo liegt Usbekistan? Noch schwerer zu beantworten zu sein scheint diese Frage: Wer ist Artur Grigorian? Herr Jakubov, der Presseattaché der usbekischen Botschaft in Bonn, beantwortet sie mit Pathos in der Stimme: „He is a representative of our today Usbekistan people.“ Dieses Bekenntnis geht dem Diplomaten nicht nur über die Lippen, weil Artur Grigorian ihm vier Karten für seinen heutigen WM-Kampf in Lübeck zugesagt hat.

In der armenischen Republik Usbekistan ist Grigorian das, was landläufig als „Volksheld“ bezeichnet wird. Der fast schon drei Jahre amtierende und in 25 Profikämpfen unbesiegte Leichtgewichtsweltmeister nach WBO- Version trägt den Spitznamen „König Artur“ und ist nach eigener Aussage „ein großer Mann“ in seiner Heimat. „Der usbekische Präsident Islam Karimow lädt mich ein“, erzählt er.

Von dieser speziellen Spezies osteuropäischer Volksheld, die zu Hause mit dem Präsidenten frühstückt, aber hierzulande nahezu unbekannt ist, hat sich die Universum Box-Promotion aus Hamburg eine ganze Handballmannschaft zugelegt. Im Box-Universum um den gebürtigen Polen Dariusz „Tiger“ Michalczewski, dem langjährigen WBO-Halbschwergewichtsweltmeister, den hünenhaften Klitschko-Brüdern aus der Ukraine und anderen Unbekannten wie Alexander Petkovic (Cruisergewicht) und Bahri Ahmeti (Mittelgewicht) ist Artur Grigorian der zuverlässige Facharbeiter. Das ist positiv gemeint. Er trainiert fleißig und zuverlässig, er lebt „sportgerecht“, wie sein Trainer Fritz Sdunek lobt. Für ihn ist der 31jährige gar „der vielleicht beste Leichtgewichtler der Welt“.

Seit 1994 boxt der Usbeke für Universum und erfüllt ansonsten alle langweiligen Klischees vom netten, ausgeglichenen Sportler der seinen „Job“ macht und dann: Feierabend, Familie. Bei Universum kennt man ihn anders. „Er macht Stimmung, hat immer einen Spaß auf den Lippen“, erzählt Sdunek, „nicht nur sportlich, auch menschlich ist Artur ein Riesengewinn.“ Im Trainings-Gym im tristen Hamburg-Tonndorf hängen allerdings fast nur Michalczewski- Poster an der Wand.

Grigorian hat sich mit seiner Rolle abgefunden. Selbst der gerade erst aufsteigende Kubaner Juan Carlos Gomez, WBC- Weltmeister im Cruisergewicht, zieht mehr Aufmerksamkeit auf sich als der unbesiegte Leichtgewichtsweltmeister. Trotzdem gibt Grigorian immer freundlich Interviews und lacht in die Kameras. Dem Mann macht seine Arbeit Spaß, auch wenn er weiß, daß er aus dem falschen Land stammt und in der falschen Gewichtsklasse boxt, um in Deutschland richtig populär zu werden. Universum hofft trotzdem, „daß die Nationalität eines Spitzensportlers immer mehr in den Hintergrund rückt“. Doch was bei Michalczewski gerade noch gelingt, läuft bei dem stillem Armenier ins Leere. Während jemand wie Gomez erfolgreich ins Rampenlicht gestoßen wird, siegt König Artur, der vielleicht sportlich Beste im Kohl- Boxstall, fast unter Ausschluß der Medienöffentlichkeit.

Im offiziellen Porträt gibt der stolze dreifache Familienvater traditionelle usbekische Musik und Tänze als seine Hobbys an, während Gomez Tanzen, Feiern und schöne Frauen vorzieht, was de facto vielleicht die gleiche Freizeitgestaltung beschreibt, aber einmal nach Sonne und Leichtigkeit klingt und ein ander Mal nach muffiger Volkstanzgruppe. Dem Alptraum aller Marketing-Manager fehlt es an verkaufsfördender Aggressivität, lieber analysiert er ruhig den heutigen Gegner Oscar Garcia Cano: „Ex-Europameister, gute Technik“.

Die Titelverteidigung gegen Cano (26), der von seinen 15 Profikämpfen 14 gewann, wird nicht leicht werden. Der Spanier beeindruckt Grigorian, aber er sieht sich trotzdem als Favoriten: „Wenn du so stark bist, dann zeig es im Ring.“ Sollte Grigorian auch im 26. Kampf unbesiegt bleiben, so wird er noch eine Pflichtverteidigung boxen und dann könnte es nach einem oder zwei weiteren Kämpfen zum Titelvereinigungskampf mit dem IBF-Weltmeister Shane Mosley (USA) kommen.

Noch lieber allerdings würde der Usbeke einmal in seiner Heimatstadt Taschkent boxen. Denn da ist er „ein richtiger König“, denn bisher ist „in Deutschland nur mein Spitzname König“.

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