■ Contra: Warum dieser Entwurf kein Gesetz werden darf: Gegen die Doktrin des Machbaren
Politik darf nicht immer auf das „Machbare“ reduziert werden. Die Programme und Ziele der Parteien und die Wahlversprechen dürfen nicht der Machbarkeit geopfert werden.
Die rot-grüne Koalitionsregierung hat in Übereinstimmung mit den Programmen und Zielen beider Parteien ganz entschieden eine grundlegende Reform des Staatsangehörigkeitsrechts als eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Aufgaben der Regierung vereinbart. Den Kern dieses Reformprojektes bildeten zwei längst fällige Erneuerungen: die Hinnahme der Beibehaltung der bisherigen Staatsbürgerschaft (Doppelpaß) und das Geburtsprinzip (Territorialprinzip).
In der Einigung der Regierungsparteien über das Optionsmodell der FDP wurde das wichtigste Kernelement dieser Reform, die Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft, fallengelassen. Die in der Vereinbarung vorgesehenen „Ausnahmehärtefälle“ bestehen auch heute.
Auch das zweite Kernelement, das Territorialprinzip, wird nur befristet bis zum 23. Lebensjahr gewährt. Das eigentliche Problem wird also lediglich verschoben auf eine spätere Zeit. Dies ist sicherlich eine Verbesserung, wenn hiervon rückwirkend alle in Deutschland Geborenen uneingeschränkt Gebrauch machen können. Wenn dies nach dem Inkrafttreten des Gesetzes lediglich für die Zukunft gelten soll, dann ist der Nutzen für Hunderttausende der bereits hier geborenen und aufgewachsenen Menschen gleich null.
So gesehen ist von diesem, als wichtiges gesellschaftliches Modernisierungsprojekt angekündigten Reformvorhaben nicht sehr viel übriggeblieben.
Der vom Bundesministerium des Inneren am 3. März vorgelegte Entwurf beinhaltet jedoch zu unserem Erstaunen eine Reihe sehr entscheidender Erschwernisse und Verschärfungen der Einbürgerungskriterien, sogar im Vergleich zu der jetzigen Rechtslage. Es wird gefordert, daß
1. „der Antragsteller nachhaltig den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Sozial- und Arbeitslosenhilfe bestreiten kann“.
Die geltende Rechtslage räumt den „unverschuldet arbeitslos“ gewordenen die Möglichkeit der Einbürgerung ein. Da die Arbeitslosigkeit, die meist eine unverschuldete ist, insbesondere bei den älteren Einwanderern sehr hoch ist (22,3 Prozent unter den Türken), werden aufgrund dieser Verschärfung Hunderttausende nicht eingebürgert werden können;
2. „der Antragsteller über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen muß“.
Der Begriff ausreichende Deutschkenntnisse kann nach Belieben ausgelegt werden. Dieses Kriterium können nur wenige von der ersten und zweiten Einwanderergeneration erfüllen. Bislang galt dagegen, daß der Antragsteller sich verständigen konnte.
Allein diese beiden Verschärfungen der zu erfüllenden Einbürgerungskriterien machen großen Teilen der ersten und zweiten Einwanderergeneration die Einbürgerung unmöglich.
Kaum zu glauben ist jedoch die Beseitigung der bisherigen Möglichkeit in § 25 a, nach Maßgabe dessen die alte, also die aufgegebene Staatsbürgerschaft nachträglich erneut erworben werden konnte. Eine Regelung, die selbst die Kohl-Regierung nicht angetastet hat. Eine Regierung, die die generelle Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft zu ihrem Regierungsprogramm gemacht hatte und die nun sogar diese Sondermöglichkeit beseitigen will, macht sich völlig unglaubwürdig.
Das Ziel des neuen Staatsangehörigkeitsrechts müßte sein, einem Großteil der in Deutschland geborenen Nichtdeutschen den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft zu erleichtern. Ich habe große Zweifel daran, ob dieses Ziel mit diesem Entwurf realisierbar ist.
Hakki Keskin ist Professor für Politik und Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland
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