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„Ich bin kein Nationalspieler“

Das 2:2 gegen Bochum ist die schlechteste Leistung des FC Schalke in der Ära Stevens und offenbart ein Team voll psychischer Extremfälle. Der Verzweifeltste heißt Yves Eigenrauch  ■ Von Philipp Selldorf

Gelsenkirchen (taz) – Am Ausgang des Parkstadions empfingen die Fans Yves Eigenrauch mit Ermutigungen. Einer deutete auf die dicke Sporttasche des Verteidigers und machte einen Scherz: „Da steckt der Ronaldo drin.“ Aber Eigenrauch mochte nicht lachen über diesen harmlosen Witz, eher stimmte ihn die Erinnerung an jenen Abend vor gut einem Jahr noch melancholischer. Damals hatte er im Spiel gegen Inter Mailand den weltbesten Fußballer auf elegante Weise entzaubert. Drei Tage später wurde er von Berti Vogts zum Länderspiel gegen Brasilien eingeladen.

An diesem Nachmittag aber ließ er sich vom sogenannten Mini-Ronaldo Delron Buckley vorführen, und gemessen an seiner konfusen Leistung in der ersten Halbzeit fände er selbst bei Germania Hasselbeck keinen Zugang in die Stammelf. Vier Fernsehinterviews gab Eigenrauch nach dem 2:2 des FC Schalke gegen den VfL Bochum. Offenbar wollte der Verteidiger, der Interviews üblicherweise lieber aus dem Weg geht, eine öffentliche Beichte ablegen. Man kann das ebenso als Alarmsignal verstehen wie die Aussage des Aufsichtsratschefs Jürgen Möllemann während der Woche, daß Schalkes Finanzpolitik nicht länger „konservativ“, sondern „offensiv“ betrieben werden soll, um notfalls auf Kosten einer Verschuldung die Fehler in der Personalplanung zu korrigieren.

Eigenrauch wiederholte vor den Kameras Worte wie „deprimierend“ und „frustrierend“ und „sehr ernüchternd“, und auf die Frage, ob er als Profi jemals so schlecht gespielt habe, gab er sofort ein Nein zur Antwort. Am liebsten wäre der Abwehrspieler, der in beinahe jeder heiklen Szene stolperte und am Ball vorbei trat, der den Elfmeter zum Ausgleich durch Reis verursachte und mit einem Fehlpaß das 1:2 durch Bastürk einleitete, in der Kabine geblieben.

„Als normaler Mensch ist man geneigt, die leichteste Lösung zu wählen“, sagte er später. „Yves hat Vertrauen nötig“, dachte sich aber Huub Stevens. Tatsächlich stabilisierte Eigenrauch sein Spiel in der zweiten Hälfte, damit war er allerdings der einzige in einer nervlich zerrütteten Schalker Mannschaft.

Nach Auffassung ständiger Beobachter bot die Elf da gegen zehn Bochumer die schlechteste Leistung in der zweieinhalb Jahre währenden Ära Stevens. „Das war grausam zu sehen“, erlebte Torwart Oliver Reck die akute Bewegungs- und Einfallsarmut seiner Mitspieler. „Ich wollte meine Leute wachrütteln, aber“ – er zuckte mit der Schulter – „das war echt schwierig.“

„In dieser Situation ist jeder Punkt ein gewonnener Punkt“, offenbarte Youri Mulder, daß Schalkes Ansprüche gesunken sind. „Am liebsten so schnell wie möglich 40 Punkte“ möchte Huub Stevens sammeln, damit er wieder Trainer sein kann und nicht bloß Seelendoktor für psychische Extremfälle. Als Schalke nach 13 Minuten einen Elfmeter erhielt, mußte nach einem Schützen gefahndet werden. „Da waren nicht viele andere Leute, die hingegangen sind“, erklärte Mulder, wie er zu seinem ersten Elfmetertor in 133 Bundesligaspielen kam.

Wie die Angst ins Verhängnis führt, erlebte Yves Eigenrauch am eigenen Leib. „Wenn du mit so 'ner Einstellung reingehst, dann hast du ganz schnell am Asch die Räuber.“ Auch Stevens macht sich verschärft Sorgen. „Es geht darum, Vertrauen zu schenken und Unterstützung zu geben – und das verdienen die Jungs auch“, sagte er.

Wer aber schenkt Stevens Vertrauen? Manager Rudi Assauer („Ich vertraue ihm hundertprozentig“) bleibt fest an seiner Seite, auch das Publikum bekundete keine aggressiven Botschaften, und einmal raffte sich die Nordkurve sogar zu einem Lied auf den Trainer auf. Einmal nur, aber Stevens nahm das zum Anlaß, sich für „unheimlich viel Unterstützung“ zu bedanken, „die ich, glaube ich, auch verdient habe.“ Nach Erhalt vieler „E-Mails, Faxe und Briefe“ schlußfolgert der Trainer gar, „daß ich immer noch mit viel Spaß arbeiten kann auf Schalke.“

Den Spielern macht ihr Job derzeit weniger Spaß. Als Eigenrauch sich seinen Weg bahnte durch die wartenden Fans, rief ihm ein kleines Mädchen in Erinnerung: „Du bist Nationalspieler.“ Da mußte, in all seiner Verzweiflung, auch Eigenrauch lächeln. Allerdings aus Sarkasmus. Er erwiderte: „Ich bin kein Nationalspieler, ich durfte mal auf Studienreise gehen.“

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