Gatesdämmerung in Hannover

■ Auf der Cebit 99 kann Microsoft sein "Windows 2000" immer noch nicht vorführen. Ein Hauptthema der Messe ist statt dessen der Aufstieg von "Linux": Das Betriebssystem aus der Bastlerküche der Freaks hat Industri

Die Webadresse www.linux .com dürfte es eigentlich gar nicht geben. Der Namensteil „.com“ für „commercial“ wäre bis vor kurzem noch als Blasphemie gegen die reine Lehre von Richard Stallman empfunden worden. Es gibt sie aber doch. Sie wird finanziert von einem Hersteller teurer Workstations und beaufsichtigt von einem Aufsichtsrat, in dem unter anderem hochrangige Vertreter der Firmen Oracle und Silicon Graphics sitzen. Ein Stuhl allerdings ist in diesem erlauchten Gremium reserviert für „The People“. Es hat die Rolle des guten Gewissens übernommen. Das Volk nämlich sei eine Gruppe von Freiwilligen aus der Linux-Gemeinde, erläutert der Manager der Website, und er selbst werde als Vertreter ebendieses Volkes darauf achten, daß „linux.com“ dem Namen entspreche.

Die Aufgabe läuft auf die Quadratur der Kreises hinaus. Der Name „Linux“ stand bislang für das genaue Gegenteil des großen Geldes, „Linux“ war der Schlachtruf der Freaks gegen die Konzernmanager, und selbst wenn der Geld- und Gastgeber der neuen Website ein paar Zeilen weiter unten versichert, auch er habe das Gefühl, eine „Überkommerzialisierung“ könne wohl nur schädlich sein – ganz so mag sich Richard Stallman seinen eigenen Erfolg nicht erträumt haben. Nur die Adressenteile „.net“ oder „.org“ konnten dem radikal gesinnten Programmierer am MIT angemessen erscheinen für ein Kind seines Projekts, das er 1983 unter dem Namen „GNU“ ins Leben rief. Das kryptische Kürzel war zu lesen als „Gnu ist nicht Unix“. Auch das trifft zu, weit mehr aber war Stallmans Idee gegen Softwarefirmen gerichtet, die damals noch in den Kinderschuhen steckten, allen voran Microsoft.

Computerprogramme sollten frei sein, forderte Stallman, wer eines braucht, sollte es bekommen und notfalls auch den Quellcode so lange umschreiben dürfen, bis er paßt. Das Prinzip heißt heute „Open Source Software“ (OSS) und lehrt nicht zuletzt Microsoft das Fürchten. Ausgerechnet an Halloween drang vergangenen Herbst ein internes Memorandum aus Redmond an die Öffentlichkeit, nachzulesen unter

www .opensource.org/halloween.html.

Einer der Kernsätze lautet: „Kurzfristig ist OSS eine unmitelbare Bedrohung des Einkommens und der Plattform von Microsoft. Zudem ist der freie Austausch von Ideen im Vorteil gegenüber unserem Lizenzierungsmodell und stellt daher eine langfristige Bedrohung für unser Entwicklungspotential dar.“

Weitsichtig hatte Stallman dem damals noch kaum bekannten Bill Gates schon 1983 ins Stammbuch geschrieben: „Softwareverkäufer wollen die Nutzer ihrer Programme spalten, sie reden ihnen ein, daß sie ihr Produkt mit niemandem teilen dürfen.“ Er wußte noch nicht, wie sehr dieser Satz bei Bill Gates bald nicht nur für die Endverbraucher, sondern noch mehr für die Zwischenhändler und Hardwarebauer galt. Mit der Naivität eines hochbegabten Studenten schrieb Stallman in sein Manifest, für ihn sei es „eine goldene Regel“, daß man das, was „ich mag, mit denen teilen muß, die es auch mögen“. Auf „lange Sicht“ sei das sogar „ein Schritt auf dem Weg in eine Gesellschaft ohne Armut, in der niemand mehr hart arbeiten muß, nur um seinen Lebensunterhalt zu verdienen“.

Nicht gerade ein Leitsatz für den Aufstieg von Microsoft zum Großkonzern. An Universitäten in aller Welt fanden Stallmans Thesen durchaus Zustimmung, die Softwareindustrie jedoch hatte kaum mehr als ein Lächeln dafür übrig. Auch das Betriebssystem, dessen Kern der Norweger Linus Torwald im Sinne des GNU-Projekts schrieb, änderte daran zunächst nichts. „Linux“ galt als System für Computerfreaks und zumindest halbprofessionelle Softwareentwickler, als viel zu schwierig für private Heimanwender und schon gar nicht als konkurrenzfähig für kommerzielle Einsätze.

Das hat sich gründlich geändert, neben den Gebühren der Telekom ist der Aufsteig von Linux in diesem Jahr das wichtigste Thema der Cebit. In der Hand von zahllosen Freizeitprogrammierern ist das System heute so weit herangereift, daß es den Vergleich mit kommerziellen Produkten nicht mehr zu scheuen braucht. Eine namhafte Softwarefirma nach der anderen erklärt, sie wolle ihre Programme auch für dieses System aus der sozialutopischen Bastlerküche anbieten. Oracle schreibt die neuste Version seines Datenbanksystems für Linux um, SAP will dem Beispiel folgen, und als Silicon Graphics seine nagelneue, speziell auf Microsofts „WindowsNT“ zugeschnittene Workstation vorstellte, beeilte sich der Firmensprecher zu versichern, man werde kräftig in die Linux-Plattform investieren, und rechtzeitig zum Beginn der Cebit sprang auch IBM auf den anfahrenden Zug: „Ein Megatrend in diesem Jahr sind die offenen Standards, die nicht von einer Firma dominiert werden“, sagte der Sprecher von IBM Deutschland, in Hannover werde sogar nichts Geringeres sichtbar als „die heimliche Revolution durch Linux“.

Noch im letzten Jahr hatte sich IBM auf Computermessen als weltweit größter Hersteller von Programmen für Microsofts „WindowsNT“ feiern lassen. Davon ist heuer wenig zu hören. IBM glaubt mit Sun zusammen den Durchbruch mit Java geschafft zu haben, und zur Belohnung durfte Sun- Chef Scott McNealy gestern die Cebit mit einer Rede eröffnen. Kaum überraschend hatte er vorab eine „technologische Initiative gegen die „Software Architektur“ von Microsoft angekündigt.

„Das sind wir gewohnt“, gab eine Sprecherin von Microsoft gelassen zurück. Weit mehr als der Kampf der kommerziellen Java- Allianz gegen das Windows-Monopol macht Microsoft der Erfolg von Linux zu schaffen. Detailliert zeichnet das Memorandum die Vorteile des Konzepts nach. Als Gefahr empfindet Microsoft keineswegs die an Unix angepaßte, daher eher altmodische Basis des Systems, sondern die Kreativität seiner begeisterten Entwickler. Fassungslos stellt der Autor etwa fest, daß Programmfehler durch die freiwilligen Helfer der Linux- Gemeinde um ein Vielfaches schneller repariert werden als bei Microsoft. Das Angebot an neuen Anwendungen ist kaum noch zu überblicken, beinahe täglich kommen neue hinzu. Sie kosten fast nichts und werden obendrein ständig verbessert.

Damit verglichen ist Microsofts Stand auf der Messe ärmlich. Mit viel Glück wurde die Version5 des Internetbrowsers rechtzeitig fertig, von der noch niemand weiß, wozu sie gebraucht wird. Die Premiere von Windows2000 dagegen ist auf unbestimmte Zeit verschoben, und auch am neuen „Office“-Paket muß noch immer nachgebessert werden. Niklaus Hablützel

niklaus@taz.de