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Ostberliner Mechanik

Den Kommunismus mag er nicht, die Ich-Gesellschaft aber auch nicht – Ein Porträt des Schriftstellers Ingo Schramm  ■ Von Kolja Mensing

In „Fitchers Blau“ stolperte – gleich nach der Wende – ein junger Mann aus Ostberlin arbeitslos und unglücklich durch seine Stadt. Die Sprache war zerhackt wie bei Arno Schmidt und laut wie bei Döblin, das Leben, literarisch gesehen, ein „Scheiß Schpiell=Ll!“. „Fitchers Blau“ war ein Wenderoman, hurra, sein Autor hieß Ingo Schramm. Er war 34 Jahre alt, als sein Debüt erschien, hatte einen kleinen Bart auf dem Kinn und sah aus wie ein Rockmusiker.

Das war 1996. Jetzt, drei Jahre später, ist die Literatur durch mit der Wende. In den Debüts der Berliner Republik geht es um 70er- Jahre-Kindheiten in der westdeutschen Provinz, um Schallplatten oder um Mode. Ingo Schramm sitzt derweil in einem Café, direkt vor einem, jetzt ohne Kinnbart. Er benutzt das Wort „dufte“ ganz unironisch. Er findet den Kommunismus nicht gut, und die Ich-Gesellschaft mag er auch nicht. Tock, tock...: Man würde am liebsten ein wenig mit einem Hämmerchen an ihm herumklopfen, wie an einem Fossil.

Tock, tock...: „Herr Schramm, sind Sie eigentlich ein Prenzlauer- Berg-Dichter?“ – „Nein, und ich hasse es, damit in Verbindung gebracht zu werden. Ich werde immer wieder darauf angesprochen, aber ich habe mit diesen Leuten, die man zu den Prenzlauer-Berg- Dichtern zählt, nie etwas zu tun gehabt.“ Gewohnt hat er trotzdem dort, fast sein Leben lang. Bis er vor einem Jahr umgezogen ist, nach Weißensee. „Das ist doch so weit weg ...?“ – „Nee. Als kompetenter Großstädter benutze ich die Straßenbahn.“

Schramm hat schon zu DDR- Zeiten geschrieben. Es gab Pläne für einen Roman beim Mitteldeutschen Verlag, doch das war 1989. Die Sache hatte sich dann erledigt. Schramm schrieb „Fitchers Blau“ und wurde sehr gelobt. Im Jahr darauf erschien „Aprilmechanik“: ein Bericht aus dem Alltag der späten Nachwendezeit. Mit Figuren, wie man sie in einem Kaiser's in Ostberlin trifft. Im letzten Herbst veröffentlichte Schramm dann „Entzweigesperrt“, eine Geschichte vom Anfang und Ende einer Liebe.

Die Handlung gehört in die 80er Jahre der DDR, wird aber in der Rückschau erzählt, aus den 90ern: „Aus den kühlen Werkhallen, den überhitzten Büros, aus den Heizungskellern und Konferenzräumen fuhren wir in den Winterurlaub, wir bestiegen die Gipfel des Erzgebirges oder wanderten die Küsten der Ostsee entlang auf den zugewiesenen Wegen; am Horizont sahen wir die grauen Silhouetten der Patrouillenboote.“ Ein Heimatroman? „Ich persönlich definiere mich nicht über meine DDR-Vergangenheit“, sagt Ingo Schramm, „mir ist das auch unangenehm, wenn andere das tun.“

Vergessen wir mal für einen Moment die DDR: „Deutschland ist ja nicht wirklich zwischen Ost und West geteilt“, sagt Ingo Schramm, „sondern zwischen einem selbstbewußten bürgerlichen Milieu und einem Underdog-Milieu.“ Er selbst zählt sich zu den Underdogs. Daß er weder Lohnarbeiter noch Arbeitsloser oder Sozialhilfeempfänger ist, ist ihm egal: „Die Frage ist eher, wem man sich zugehörig fühlt, oder für wen man Partei ergreift, wenn es irgendwann mal nötig wird ...“ – „Meinen Sie in einer Revolution?“ – „Nee, also, nein, in politischen Diskussionen, zum Beispiel ...“

Wenn Ingo Schramm über die „Modernisierungsverlierer“ redet, klingt er wie ein Leitartikler in der Zeit. Und auf seiner Homepage (www.txt.de/ingoschramm) schreibt er auch so, kleine Kommentare zu wichtigen Dingen: zu Oskar Lafontaine, der ja immer für die „kleinen Leute“ da war. Ingo Schramms angenehm verrücktes Sprach-„Schpiell=Ll“ gehört wohl nur in seine Bücher. „Man darf Literatur und Leben nicht miteinander verwechseln“, sagt er einmal. Aber in einem anderem Zusammenhang.

Auf der Homepage erfährt man auch ein bißchen über den neuen Roman, an dem Schramm gerade arbeitet und der im Herbst nächsten Jahres erscheinen soll. Worum es nun genau gehen wird, verrät er natürlich nicht. Aber es gibt die Links zu den Seiten, auf denen Ingo Schramm recherchiert hat: Boeing, die Bundeswehr, die „Tatort“-Seite des ZDF, die Grünen, CNN. Vielleicht ist Ingo Schramm ja doch in der Berliner Republik angekommen? „Der Roman soll zeigen, wie Menschen mit verschiedenen Weltsichten mit der Wirklichkeit umgehen.“ – Ja? – „Während mein letzter Roman völlig innerlich war, wird das jetzt das Gegenteil, realistischer erzählt. Mit Action und Plot.“

Am besten kann man sich mit Ingo Schramm übrigens über Musik unterhalten. Er hört Napalm Death, Van Morrison und E-Musik, ab Gustav Mahler aufwärts. Seinem letzten Roman hat er einige Strophen aus einem Orchesterlied von Alban Berg vorangestellt: „Über die Grenzen des Alls blicktest du sinnend hinaus ...“ Manchmal fährt Ingo Schramm ins Schauspielhaus am Gendarmenmarkt und hört sich ein Konzert an. Ein Blick in den Stadtplan: Ja, tatsächlich, man kann mit der Straßenbahn hinfahren. Mit der Nummer 13. Die fährt von Weißensee bis zur Friedrichstraße. Den Rest kann man zu Fuß gehen. Dufte.

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