■ USA: „Dr. Death“ Kevorkian wegen Totschlags verurteilt: Sterbehilfe in der Krise
Mit dieser Verurteilung haben nur wenige gerechnet. In früheren Verfahren war Kevorkian stets als freier Mann aus dem Gerichtssaal gegangen, weil es ihm gelang, die Beweisaufnahme vor der Jury mit Gefühl und Pathos auf die Krankheiten der von ihm Getöteten zu lenken. Diesmal hat die Anklage ihm diesen Weg versperrt: Thema war die Frage, ob es Totschlag ist, wem auch immer gezielt eine tödlich wirkende Substanz zu verabreichen.
Der Schuldspruch im Kevorkian-Prozeß ist der zweite schwere Rückschlag, den die „Euthanasie“- Befürworter in den USA einstecken müssen. Im Herbst 1998 war bereits ein Gesetz zur Legalisierung des ärztlich unterstützten Selbstmords in der Volksabstimmung im Bundesstaat Michigan gescheitert. Auch die Erfahrungen in Oregon, wo es seit knapp einem Jahr ein Sterbehilfegesetz gibt, haben die Erwartungen der Vorkämpfer für die Freigabe von Mitleidstötungen enttäuscht: Nur 23 Menschen haben diese Möglichkeit in Anspruch genommen.
Kevorkian wird in Berufung gehen, und in einigen Bundesstaaten stehen noch „Euthanasie“-Gesetze zur Abstimmung. Trotzdem sind die Sterbehilfebefürworter in die Krise geraten. Zwei Faktoren haben der Koalition aus weiten Teilen der Ärzteschaft, demokratischen Gesundheitspolitikern, der Behindertenbewegung und religiösen Konservativen ermöglicht, die „Euthanasie“-Bewegung in Schwierigkeiten zu bringen. Zum einen die allgemein als bedenklich angesehene Ausweitung der Tötungspraxis in den Niederlanden, wo auch lebensmüde Depressive, schwerbehinderte Neugeborene und einwilligungsunfähige kranke Erwachsene mittlerweile in den Sog der Legalisierungspraxis geraten. Zudem ist in den USA die medizinische Versorgung am Lebensende intensiv verbessert worden. Bessere Schmerztherapien, mehr Palliativstationen und Hospize tragen dazu bei, daß viele sehen, daß es ein „gutes Sterben“ als Alternative zum „schnellen Tod“ geben kann.
Aber Krise bedeutet noch nicht das Aus. Der ökonomische Druck kann die Reformansätze in der Sterbebegleitung zerstören. Und auch die Debatte über den Wert des Lebens mit Behinderung und Krankheit in der Industriegesellschaft birgt Gefahren in sich. Oliver Tolmein
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