: Rambouillet ist Makulatur
■ Jugoslawiens Präsident Milosevic schafft mit seiner Vertreibungsstrategie im Kosovo Fakten
Nach wie vor hält die Nato an den beiden offiziell erklärten Zielen ihrer Luftangriffe gegen Restjugoslawien fest: Einstellung der militärischen Vertreibungs-und Vernichtungsoffensive der serbischen Truppen gegen die Kosovo- Albaner und die Unterzeichung des in Rambouillet verhandelten Autonomieplans durch Jugoslawiens Präsident Slobodan Milošević. Doch unbeeindruckt von den Luftangriffen ging die Offensive im Kosovo auch gestern weiter. Milošević schafft im Kosovo Fakten. Der Autonomieplan von Rambouillet wird zur Makulatur.
Nato-Einmarsch in ein unbewohntes Land?
Nach der Eskalation der letzten sechs Tage ist damit zu rechnen, daß die Kosovo-Albaner, die den Autonomieplan unterschrieben haben, sich jetzt nicht mehr auf die in dem Abkommen vorgesehene dreijährige Selbstverwaltungsphase einlassen, sondern statt dessen die sofortige und völlige Loslösung von Belgrad und die staatliche Unabhängigkeit fordern. Doch selbst wenn die Führer der politischen Parteien und der Kosovo-Befreiungsarmee UÇK vorläufig bei ihrer Unterschrift unter den Autonomieplan bleiben sollten: Wer kann sich nach den Vertreibungen, Massakern und andern Grausamkeiten, die die serbischen bzw. restjugoslawischen Armee- und Polizeikräfte seit letztem Donnerstag begangen haben, ernsthaft vorstellen, daß die albanische Mehrheit und die serbische Minderheit im Kosovo in absehbarer Zeit wieder friedlich zusammenleben werden?
Nach wie vor läuft die Entwicklung des Konflikts ganz nach dem Kalkül von Milošević. 500.000 der 1,8 Millionen Kosovo-Albaner sind bereits aus ihren Häusern und Dörfern vertrieben; über die Hälfte war schon bis zum Beginn der Nato-Angriffe ins Ausland geflohen. Auch viele der 200.000 serbischen Einwohner haben den Kosovo inzwischen verlassen.
Nato-Truppen könnten der Massenvertreibung vielleicht Einhalt gebieten. Doch mit einer Stationierung solcher Truppen, wäre – wenn überhaupt – in frühestens zwei bis drei Monaten zu rechnen. Solange dürften die politischen Diskussionen und Entscheidungen in den 19 Nato-Staaten und der Transport der erforderlichen Truppen und Waffensysteme an die Grenzen des Kosovo noch dauern. Bis dahin ist das Kosovo vermutlich ein weitgehend unbewohntes und zerstörtes Land.
In der Nato und vor allem in den USA werden in dieser ausweglos erscheinenden Situation Forderungen laut, Milošević durch eine Anklage vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag unter Druck zu setzen. Zumindest von Teilen der Opposition in Serbien sowie von internationalen Menschenrechtsorganisationen und Friedensgruppen wird diese Forderung bereits seit der Etablierung des Tribunals im Jahre 1993 erhoben. Auch von Regierungspolitikern aus Washington, Bonn und anderen westlichen Hauptstädten waren in den letzten Jahren immer wieder entsprechende Äußerungen zu hören.
Doch tatsächlich hat vor allem die Clinton-Administration dafür gesorgt, daß eine solche Anklage des Tribunals gegen Milošević – zumindest eine öffentliche – bis heute nicht zustande kam. Die New York Times schildert in ihrer gestrigen Ausgabe noch einmal ausführlich, wie Washington das Den Haager Tribunal in der Umsetzung seines Auftrags, ohne Ansehen der Personen zu ermitteln und Verfahren einzuleiten, systematisch behindert hat: unter anderem durch die Vorenthaltung wichtiger Beweismaterialien, die die USA durch ihre Geheimdienste gewonnen haben.
Den Haag ist nur noch eine leere Drohung
Die Regierungen in Bonn, Paris, London und anderen westlichen Hauptstädten haben diese Behinderung des Tribunals zumindest stillschweigend mitgetragen – die Regierung in Moskau ohnehin. Ähnliches läßt sich sagen mit Blick auf den Präsidenten Kroatiens, Franjo Tudjman. Nach Aussage eines hohen Mitglieds der Clinton- Administration gegenüber der New York Times ließe sich eine Anklage gegen Milošević bei entsprechendem politichen Willen „innerhalb von 24 Stunden formulieren“. Doch ob Milošević damit heute noch ernsthaft beeindruckt und zum Einlenken im Kosovo- Konflikt bewegt werden könnte, ist zumindest sehr zweifelhaft. Andreas Zumach, Genf
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