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Jedes Kind soll künftig steuerlich gleich sein

Familienentlastung wird konkret: Koalition plant steuerfreies Existenzminimum für Kinder und mehr Kindergeld. Grüner MdB: „Der Durchschnittsverdiener mit zwei Kindern wird steuerfrei bleiben“    ■ Von Christian Füller

Berlin (taz) – Die Pläne der Bundesregierung zu einer Steuerbefreiung für Familien nehmen konkrete Formen an. Das Finanzministerium will nach Informationen der taz einen neuartigen steuerlichen Grundfreibetrag für Kinder einführen. Er soll mit einem deutlich erhöhten Kindergeld von 330 Mark kombiniert werden, damit auch Nichterwerbstätige von der Entlastung profitieren.

Nach Berechnungen der grünen Bundestagsfraktion läge der neue Freibetrag bei über 16.000 Mark. Er würde Erwerbstätigen mit Kindern in gleichem Maße zugute kommen. „Jedes Kind ist künftig gleich“, begründete der grüne Steuerexperte im Bundestag, Klaus Müller, das neue Modell gegenüber der taz. Es soll umgesetzt werden, indem alle Familien zunächst das Kindergeld als Direktzahlung erhalten. Bei der Steuererklärung können Erwerbstätige dann den neuen Grundfreibetrag – und damit weitere steuerliche Vorteile geltend machen.

Die Neufassung der „Familiensteuer“ hat in Bonn höchste Priorität. Das Verfassungsgericht hatte dem Gesetzgeber erst im November vergangenen Jahres aufgetragen, die über zehn Millionen Familien mit Kindern steuerlich erheblich besserzustellen. Das Gericht setzte ultimativ fest: Ab 1. Januar 2000 tritt ein Betreuungsfreibetrag von 4.000 Mark in Kraft, ab 2002 zudem ein Haushaltsfreibetrag von 5.600 Mark – sofern der Gesetzgeber bis dahin nicht eine finanziell gleichwertige Lösung beschließt.

Das Karlsruher Urteil wird den Bundesetat laut Berechnungen des Finanzministeriums ab 2002 mit über 20 Milliarden Mark jährlich belasten. Eine finanzielles Risiko, das zur Freude der Opposition die ganze rot-grüne Steuer- und Etatpolitik gefährden könnte.

Der Abgeordnete Müller glaubt nun, ein Konzept gefunden zu haben, „mit dem die Grünen das Karlsruher Urteil lösen können“. Es sei schlüssig und finanzierbar, heißt es unisono unter den Finanzexperten der SPD- und der Grünenfraktion. Auf „unter 20 Milliarden Mark“ kalkuliert die Staatssekretärin im Finanzministerium, Barbara Hendricks (SPD), die jährliche Belastung für den Etat. Die Grünen rechnen sogar nur mit 10 bis 13 Milliarden Mark.

Der steuerpolitische Vorteil liegt in der Einführung eines Existenzminimums für Kinder. Dies wird durch einen steuerlichen Grundfreibetrag von 16.600 Mark erreicht. Anders als die üblichen Kinderfreibeträge entlastet ein solcher Bonus nicht bevorzugt Besserverdiener, sondern alle rund 9 Millionen Erwerbstätigen mit Kindern. „Jeweils die erste Mark des Einkommens wird steuerfrei gestellt – das heißt, jeder Erwerbstätige profitiert davon“, erklärte Müller, der im Privatberuf bei der Investitionsbank in Schleswig-Holstein arbeitete.

Aber auch jene Familien ziehen finanzielle Vorteile aus dem neuen Modell, die kein oder nur ein geringes Einkommen erzielen. Laut Statistik leben rund 5 Millionen Kinder in solchen Familien. Sie würden direkte Zuschüsse in Form eines erheblich steigenden Kindergeldes erhalten. Es würde 330 Mark ab dem Jahr 2002 betragen, hat die Grünenfraktion in einer Modellrechnung ermittelt. Derzeit liegt es bei 250 Mark.

Eine Beispielfamilie mit zwei Kindern würde über das neue Modell einen Steuerfreibetrag von 58.000 Mark in Anspruch nehmen können: Zu dem steuerfreien Existenzminimum der Eltern (27.000 Mark) kämen rund 31.000 steuerfreie Mark für die beiden Kinder hinzu. „Der Durchschnittsverdiener mit zwei Kindern wird also tatsächlich steuerfrei bleiben“, sagte der grüne Abgeordnete Müller, der auf der Grundlage von Zahlen aus dem Finanzministerium Modellrechnungen anstellen ließ. Der Durchschnittsverdienst liegt in der Bundesrepublik bei 63.000 Mark.

Der Vorschlag der Grünen konkretisiert einen Vorschlag aus einer Liste des Finanzministeriums, die Staatssekretärin Barbara Hend

ricks (SPD) jüngst präsentiert hatte. In einem weitgehend unbemerkt gebliebenen Vortrag vor der Friedrich-Ebert-Stiftung in Nürnberg nannte sie mehrere Varianten, um dem Urteil aus Karlsruhe gerecht zu werden. Dabei machte Hendricks keinen Hehl aus ihrer „hohen Sympathie“ für einen Kindergrundfreibetrag.

Auch der designierte Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) kennt die verschiedenen Modelle einer Familienentlastung. Eichel wolle sich aber vor seinem Amtsantritt in dieser Woche nicht dazu äußern, sagte sein Sprecher gegenüber der taz.

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