: Religiöse Verwirrung
Die Muslime weltweit wissen nicht so recht, was sie von dem Krieg um das Kosovo halten sollen. Das alte Schema von Freund und Feind stimmt nicht in diesem Konflikt ■ Von Thomas Dreger
Angesichts der Nato-Angriffe auf Ziele in Ex-Jugoslawien stehen die islamischen Staaten vor einem Dilemma. Einerseits gehören die Ausführenden in das übliche Feindlager: westliche Imperialisten, allen voran die USA. Andererseits sollen die Angriffe ein muslimisches Brudervolk schützen: die Kosovo-Albaner.
„Sollte diese Intervention helfen, Unrecht zu beseitigen, wäre das eine andere Sache. Wenn die Muslime von dem Joch der Serben befreit werden, dann ist das ein positiver Punkt. Aber das Problem ist, daß die Nato von den USA dominiert und geführt wird, und das ändert alles“, gab Irans Ex-Präsident Ali Akbar Haschemi Rafsandschani einen Einblick in die islamische Verwirrtheit.
Der iranische Eiertanz ist signifikant – besonders weil die Islamische Republik derzeit den Vorsitz der Organisation Islamische Konferenz (OIC) führt. Deren 56 Mitglieder verabschiedeten vergangene Woche eine Resolution, in der sie Slobodan Milošević vorwerfen, „ganze Dörfer abzubrennen und Verbrechen wie Völkermord und ethnische Säuberungen durchzuführen“. Die USA wurden nicht kritisiert.
Innerhalb der Organisation wird schon länger bemängelt, daß die islamische Weltgemeinschaft den Konflikt in Ex-Jugoslawien weitgehend dem Westen überlassen hat. Doch der Grund für die eigene Schwäche liegt auf der Hand: politische Zersplitterung. Verbindender als die gemeinsame Religion sind zumeist Einzelinteressen der Staatsführungen. So sind die ägyptische Regierung und die Königshäuser der Golfstaaten darauf bedacht, ihren Verbündeten USA nicht zu verprellen. Der von Washington mit einem Wirtschaftsembargo gegeißelte Iran muß dagegen Rücksicht auf Rußland nehmen – dem traditionellen Bündnispartner der Serben.
Ein weiterer Grund für die gemischten Gefühle vieler Muslime ist der Umstand, daß ihnen das Unrecht auf dem Balkan relativ fern ist, während doch ein anderes vor der Haustür liegt: der Konflikt mit Israel. „Belgrad ist bestraft worden, weil es die Forderungen der internationalen Gemeinschaft ignoriert hat – Israel tut das jeden Tag“, kommentierte eine ägyptische Zeitung. Und der Krieg im Kosovo diene einzig den US-amerikanischen Interessen, heißt es von der libanesischen Hisbollah. Tatsächlich haben israelische Regierungen in der Vergangenheit weit mehr UN-Resolutionen ingnoriert als Slobodan Milošević im Laufe seiner Karriere. Für viele ein Beleg für einen im Nahen Osten fast schon zur Legende gewordenen Vorwurf: Der Westen mißt mit zweierlei Maß.
Einige orientalische Herrscher treibt dennoch die Furcht um, auf dem Balkan könne ein Exempel statuiert werden. Die wenigsten Regenten islamischer Staaten sind demokratisch legitimiert und mit ihrer Menschenrechtspraxis ist es auch nicht zum besten bestellt. Ein Beispiel für einen veränderten – wenn auch wenig überzeugenden – Umgang mit Diktatoren sitzt in Bagdad verbarrikadiert: Saddam Hussein.
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