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Die Fiktion vom wilden Balkan

Um das verwirrende Ex-Jugoslawien zu verstehen, müßten die Mitteleuropäer genauer hinsehen. Die kroatische Zeitschrift „arkzin“ gibt Lesehilfen jenseits von Ethno-Denken und Balkanismus. Zu Hause sieht man sie deswegen als „Alien“  ■   Von Mark Terkessidis

Als die Angriffe der Nato auf Jugoslawien begannen, saß Boris Buden mit seinen Kollegen von der Zeitschrift arkzin in der kroatischen Hauptstadt Zagreb vor dem Fernseher und lauschte den Erklärungen von Clinton, Blair und Schröder. Plötzlich sagte jemand aus der Runde: „Schaut, wie dumm sie sind.“ Doch es gab kein Gelächter. „Wir haben Angst gespürt“, erzählt mir Buden, „so als ob man in einem Flugzeug plötzlich feststellen würde, daß das Cockpit leer ist, daß dort niemand mehr sitzt, der das Ganze steuert. Das gleiche Gefühl hatten wir vor etwa 15 Jahren, als wir während der Live-Übertragungen von den Sitzungen des ZK merkten, daß die sogenannte Führung überhaupt keine Ahnung mehr hat, wohin sie uns führt.“

Die Bomben auf Belgrad lassen Boris Buden nicht kalt. Obwohl selbst kroatischer Herkunft, ist er in einem noch intakten Jugoslawien aufgewachsen und leistete in Belgrad seinen Militärdienst bei der Flugabwehr der Ersten Armee. Und so erinnert er sich ziemlich genau an den Militärflughafen in Pancevo oder den Übungsplatz in Bubanj Potok – Anlagen, die nun in Schutt und Asche liegen. Freilich steht er in Kroatien mit seiner Anteilnahme ziemlich allein da. Während die Nato sich mit dem Schutz der Menschenrechte rechtfertigt, bleiben im Windschatten der Bomben vor Ort gerade jene ohnehin schwachen Kräfte auf der Strecke, die tatsächlich für die Universalität der demokratischen Prinzipien einstehen.

Buden bezeichnet die Stimmung in Kroatien, wo dem US-Militär logistische Hilfe geleistet wird, als „feierlich“: Das antiserbische Ressentiment schlägt mal wieder hohe Wogen. Aus den Bibliotheken werden Werke serbischer Autoren entfernt und auf die Mülldeponie gebracht. Wer sich dieser kroatischen Version der Bücherverbrennung widersetzt – wie der emeritierte Ethikprofessor Milan Kangrga –, dem hängt man kurzerhand einen Prozeß an. Unterdessen sprechen die Faschisten wieder offen von der „Endlösung“ der serbischen Frage. Angesichts des Elends im Kosovo lassen sich die eigenen Greueltaten trefflich verdrängen. In Zagreb verlacht Dinko Sakic, der Kommandant des Ustascha Konzentrationslagers Jasenovac, offen die Zeugen – seine ehemaligen Opfer. Die Kriegsverbrecher des Bosnien-Konfliktes, deren Fälle in den vergangenen Jahren vor Gericht kamen, werden heute freigesprochen. Und auch die brutale Eroberung der Krajina 1995 scheint nicht mehr der Rede wert. Schließlich waren es damals die Kroaten, die mit der tatkräftigen militärischen Unterstützung der USA eine Viertelmillion Serben vertrieben haben. Doch Präsident Franjo Tudjman ist ein Freund der USA und des Westens und wird von diesem mit unbegrenzter Rückendeckung „belohnt“ – „auf Kosten der Opposition selbstverständlich“, wie Buden resigniert feststellt.

1993 hat der Journalist Boris Buden mit einigen alten Kollegen in Zagreb die Zeitschrift arkzin ins Leben gerufen. Das Projekt stand im Zeichen der Friedensbewegung und des Antinationalismus – und wurde daher vom kroatischen Mainstream bestenfalls ignoriert, zumeist jedoch argwöhnisch beäugt und in seiner Arbeit behindert. Arkzin versteht sich als eine politische Kulturzeitschrift mit internationaler Ausrichtung: Man befaßt sich mit Literatur, Kunst, Popkultur, Theorie und neuen Medien (im Internet zu finden unter: www.arkzin.com). Wie Buden berichtet, wurde arkzin von vornherein eigentlich gar nicht als kroatisches Medium wahrgenommen, sondern als eine Art „Alien“. Aus diesem durchaus positiven Gefühl heraus gründeten die Mitglieder der Zeitschrift 1994 schließlich das Projekt „Bastard“. Zum einen handelte es sich dabei um einen Verlag, in dem Budens eigene Aufsätze über die Situation in Kroatien ebenso erschienen wie Romane von Schriftstellern serbischer Herkunft oder zuletzt die erste kroatische Wiederauflage des „Manifestes des kommunistischen Partei“ mit einem Vorwort des Slowenen Slavoj Zizek. Gleichzeitig wurde „Bastard“ aber auch noch ein auf Theorie konzentriertes Supplement von arkzin und in diesem Jahr sogar eine eigene Zeitschrift (siehe www.arkzin.com/bastard). Bei allen Projekten achten die Beteiligten trotz des geringen Budgets ganz besonders auf die Gestaltung. Kürzlich erhielten sie sogar ein Lob vom Magazin des renommierten American Institute for Graphic Arts für ihr Layout.

Der Alien-Status von arkzin ermöglichte eine Zusammenarbeit über die neuen ethnischen Grenzen des ehemaligen Jugoslawien hinaus. „Wir haben praktisch bewiesen“, meint Buden, „daß es eine prinzipielle Ebene gibt, auf der die Kommunikation zwischen den angeblich immer zerstrittenen Balkanvölkern problemlos verläuft.“ Zudem steht arkzin mit einer verkauften Auflage von 3.000 im Vier-Millionen-Staat Kroatien sehr gut da. Und so wurde die Zeitschrift nicht umsonst zum Vorbild für ähnliche Projekte in anderen Ländern, die inzwischen eine Art Netzwerk bilden: zofa in Lubljana, xz in Belgrad, margina in Skopje. Und in Sarajevo ist gerade ein neues Blatt im Aufbau. Bei arkzin hat man allerdings niemals krampfhaft danach gestrebt, mit „toleranten“, „kosmopolitischen“ oder „liberalen“ Kräften zusammenzuarbeiten – in der verfahrenen gesellschaftlichen Realität des Balkan gab es weder Unparteilichkeit noch Unschuld. „Solche existieren vielmehr“, wie Buden betont, „ausschließlich in dem völlig entpolitisierten Wunschbild der europäischen linksliberalen Szene.“ Tatsächlich frönt in Deutschland gerade das progressive Publikum einem ziemlich unverhohlenen „Balkanismus“: Gewöhnlich sieht man beim Blick hinüber wenig mehr als einen unbegreiflich verwirrenden Haufen kriegerischer Wilder. Sobald sich Opposition zeigt, wie vor zwei Jahren in Belgrad, dann freut man sich, endlich mal ein paar „zivilisierte“ Menschen zu sehen, interessiert sich aber nicht wirklich für deren politische Ziele. Und am Ende schließlich ist man richtig enttäuscht, wenn die „Zivilisierten“ dann doch nicht den eigenen Vorstellungen entsprechen. In diesem Sinne erzählt Buden, daß ein österreichischer Bekannter, von der Situation auf dem Balkan extrem „belästigt“, fast ernsthaft vorschlug, man solle doch eine Atombombe auf die Region werfen, damit das mal aufhöre. „Sich nach dem politischen Sinn des ganzen jugoslawischen Krieges zu fragen“, so Buden, „war die linksliberale Öffentlichkeit mit ihren politischen Repräsentanten, vor allem den Grünen, nie in der Lage.“

Selbstverständlich ist die allgemeine Gegenüberstellung des „zivilisierten“ Westens und eines undurchdringlichen, gewalttätigen Balkans nichts weiter als eine nützliche Fiktion: Der Westen ist in die politische Lage auf dem Balkan zutiefst verstrickt. Dabei hat bis jetzt jede Intervention die ethnische Zersplitterung unterstützt und gestärkt, welche der Westen doch so großspurig zu bekämpfen vorgibt. Sicher begann der Zerfallsprozeß Jugoslawiens 1987 im Kosovo, als der damals noch kommunistische Funktionär Slobodan Miloevic eine aggressive Serbisierungspolitik einleitete. Aber dann drehte Deutschland die Spirale ein Stück weiter, als es Kroatien und Slowenien als eigenständige Staaten anerkannte. In Bosnien schließlich wurde erst eingegriffen, als die ethnische Trennung längst vollendet war. Heute bewacht die dort stationierte UNO-Friedenstruppe letztlich die längst zementierten nationalen Grenzen. Das momentane Nato-Bombardement schließlich führt mit aller Wahrscheinlichkeit zur Unabhängigkeit des Kosovo. Damit wird dann auch das letzte Stück Jugoslawien nach ethnischen Gesichtspunkten aufgeteilt. Und in allen Balkanstaaten inklusive Griechenland sowie in Rußland haben die nationalistischen Kräfte eine Stärkung erfahren – mit kaum absehbaren Folgen. Im späten Jugoslawien der achtziger Jahre war die Stimmung ganz ähnlich wie im Westen. „Wir waren“, erzählt Boris Buden, „relativ glückliche Kinder des jugoslawischen Sozialismus. Wir dachten damals, daß wir im Rhythmus der in eine bessere Zukunft fortschreitenden Welt leben.“

Der schnelle Zusammenbruch hat Buden davon überzeugt, daß „alles, was sich im ehemaligen Jugoslawien abgespielt hat, im Prinzip überall möglich ist und zwar über Nacht“. Dennoch verwundert es ihn noch immer, wie schnell die „Regression“ zum Teil auch unter jenen Kräften fortschreitet, denen er bislang vertraute: So kristallisierten sich beispielsweise kurz nach den Angriffen in der bekannten alternativen Mailinglist „Nettime“ sofort zwei Fronten heraus – letztlich entlang von ethnischen Kategorien.

Doch in diesem Krieg gibt es keine richtige Seite. Man kann nur den Gesamtprozeß kritisieren, der zu diesem Krieg geführt hat. Aber seitdem es nur noch „Realpolitik“ gibt, ist diese Version bekanntlich aus der Mode gekommen. Und zudem müßte man sich im Westen die scheinbar unendliche Mühe machen, die politische Situation auf dem Balkan tatsächlich zu verstehen.

Unparteilichkeit und Unschuld existieren nur als Wunschbild der europäischen linksliberalen Szene

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