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„Die bearbeiten ihr Karma“

Am Kosovo-Krieg scheiden sich die Geister: Die einen fordern Meditationen, die anderen wollen ihn „mit Liebe begleiten“  ■ Von Heike Dierbach

Michael Dreyer sieht die Lage realistisch: „Mag sein, daß Politiker unserer Tage anfänglich nur schwer diese neuen Prinzipien akzeptieren“, räumt der Lehrer für transzendentale Meditation ein, „aber auch Röntgen wurde lange als Spinner verlacht.“ Und heute – angesichts der Gewalt im Kosovo und der Frage, wie man sie beenden kann – „möchte ich einfach etwas tun“, betont der Bergedorfer.

Deshalb hat er unter anderem an Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) und den grünen Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele geschrieben. „Wir müssen schnell Experten in transzendentaler Meditation ausbilden – für Deutschland etwa 1000 –, die zusammen einen unbesiegbaren Einfluß von Frieden und Geordnetheit erzeugen“, informiert Dreyer sie. Dann, ist er überzeugt, würde die Gewalt auf dem Balkan „von selber“ aufhören.

Denn laut der „Vedischen Friedenstechnologie“ erlischt „unter dem Einfluß von Kohärenz jede Feindseligkeit“. Bewiesen ist dies angeblich durch eine Massen-Meditation von 4000 Menschen weltweit, die im Sommer 1993 die Kriminalitätsrate in Washington um 23 Prozent gesenkt haben soll. „Praktisch geschieht dies durch die Aktivierung der einheitlichen Ebene“, erläutert Dreyer, „über die sind alle Menschen vernetzt – auch Clinton und Milosevic“.

Sollten sich Schmidt und Ströbele wieder Erwarten davon nicht überzeugen lassen, könnte ihnen ein Blick ins Internet zur Erleuchtung verhelfen. Allerdings gehen die Meinungen der Spiritisten dort ähnlich weit auseinander wie die der normal Sterblichen. Im „OpenForum“ auf der Homepage von „Lichtinfo“ bezweifelt etwa ein „Eduard“, „warum man überhaupt Liebe in Prozesse leiten soll, die gerade ihr Karma bearbeiten“. Offensichtlich seien Menschen doch oft nur durch erlittene Schmerzen bereit, „sich für neue Einsichten zu öffnen“. Auch eine „Ilonka“ („ich bin das, was man einen Lichtarbeiter nennt“) ist gegen jegliches Engagement im Kosovo, denn „ich lasse den Prozeß gewähren und empfinde Liebe für ihn, wie auch immer er sich entwickelt.“ „Dragi“ schickt trotzdem täglich „Glückseligkeit zu diesem Gebiete“. Aber obwohl er nach eigener Auskunft „einen sehr guten Draht zu den Engeln“ hat, gehen die Aggressionen in Jugoslawien weiter.

„Fatalistisch darf man nicht werden“, warnt Dreyer. Immerhin verweist die spirituelle Internet-Zeitung El Alba in ihrem Sonderteil zum Krieg auch auf zahlreiche Friedensinis und Außenministerien und fordert auf, Flüchtlinge hier zu unterstützen. Und auch Michael Dreyer war auf dem Ostermarsch.

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