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„Ohne ein Wort des Bedauerns“

■ Wrocklage kritisiert Wiedereinstellung von SS-Offizieren in Hamburger Polizei / „Keine Bilder des Vergessens“ bald öffentlich Von Silke Mertins

19 ehemalige SS-Offiziere kamen nach dem Zweiten Weltkrieg in der Hamburger Polizei zu Amt und Würden, zum Teil in leitenden Positionen. Diese Recherche-Ergebnisse des 73jährigen Journalisten Eberhard Zamory bestätigte endlich auch die Innenbehörde. „Das ist beschämend“, distanzierte sich Hamburgs Innensenator Hartmuth Wrocklage in einem Brief an Zamory von der Nachkriegspraxis, belastete ehemalige Angehörige der SS und der Wehrmacht wiedereinzustellen: „Damit kann man sich nicht versöhnen.“

Sechs Jahre hat Zamory, der das „Dritte Reich“ im britischen Exil überlebte, auf solche Worte gewartet. Im ersten Anlauf 1989 schrieb er an den damaligen Innensenator Werner Hackmann und bat um Bestätigung einer Namensliste ehemaliger Nazis in der Hamburger Polizeibehörde. Nicht gerade eine Chefsache, befand Hackmann, und delegierte diese Aufgabe an den Leiter der Personalabteilung der Landespolizeiverwaltung, Jürgen Kestien.

Der bestätigte Zamorys Angaben denn auch zum größten Teil, gab aber in einem Begleitschreiben unter anderem zu bedenken, daß „manche Eintritte in die NSDAP auf Druck oder auf Veranlassung von Vorgesetzten erfolgten“ und dies „nichts über etwaige Aktivitäten“ aussage.

Als „bürokratische Gefühllosigkeit“ ohne auch nur „ein Wort des Bedauerns“ gegenüber jemandem, dessen Angehörige in deutschen KZs vergast wurden, empfindet Zamory diese Aneinanderreihung von Rechtfertigungen. Spätestens seit Christopher Brownings Buch „Ganz normale Männer“ über Einsätze des Hamburger Reserve-Bataillons 101 bei der Vernichtung der Juden in Polen ist erwiesen, welche Rolle die Polizei im NS-Apparat spielte.

„Niemand wurde gezwungen, in die NSDAP einzutreten“, widerspricht auch Michael Wildt vom „Institut zur Erforschung des Nationalsozialismus“ in Hamburg Kestiens Schreiben. Und bei SS-Angehörigen könne erst recht nicht von Unfreiwilligkeit die Rede sein.

Die nicht-öffentliche Ausstellung „Keine Bilder des Vergessens“ in der Landespolizeischule in Alsterdorf läßt anhand von bisher unter Verschluß gehaltenen Dokumenten keinen Zweifel zu, daß Hamburger Polizisten nicht nur freiwillig, sondern „ihre Einsätze perfekt und ohne großen Widerstand durchführten“, so Innensenator Wrocklage in einer Rede am 11. Mai vor PolizeischülerInnen. 38.000 Menschen wurden von Angehörigen dieses Bataillons ermordet; 45.000 weitere in Viehwaggons getrieben.

Bei einem erneuten Versuch Eberhard Zamorys, in die Höhen der Innenbehörde vorzudringen, erreichte er nicht nur, daß Senator Wrocklage ihn kürzlich höchstselbst durch die Ausstellung führte. Sie soll außerdem im Oktober fast komplett der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, und zwar in der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung.

Da die 19 SS-Offiziere von Zamorys Liste nicht mehr Dienst tun und zum größten Teil vermutlich schon gestorben sind, ist das „doppelte Unrecht“, so Wrocklage, „nicht mehr zu korrigieren“. Allerdings stehe man vor der „bleibenden Aufgabe“, PolizistInnen für die „Achtung der Menschenwürde als höchstes Gut unseres modernen Rechtsstaates“ zu sensibilisieren.

Wohl wahr: Gestern vor einem Jahr begann der Hamburger Polizeiskandal.

Die Namensliste:

Carl Boysen, Walter Gerloff, August Hanner, Otto Siemers, Karl Pötke, Heinz Barz, Adolf Benecke, Werner Boeddecker, Berthold Boldt, Walter Gustke, Helmut Holzbecher, Helmut Kiehne, Helmut Kordts, Herbert Metschullat, Horst Rutz, Wolfgang Schattenburg, Georg Schloemp, Kurt Maurer, Max Wittmann.

Wer Eberhard Zamory dazu weitere Informationen geben kann, wende sich bitte an die taz hamburg,

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