: Kriegsgewinnler in der Zeitungsschlacht
■ Jahr drei in der Konkurrenz der Hauptstadtzeitungen: „Die Qualitätsblätter sind besser geworden, Revolverblätter abgründiger“
„Vorteile“, sagte Evelyn Roll. „Hauptsächlich Vorteile. Jeder, der was kann, läuft mit zwei oder drei Angeboten in der Tasche herum und selbst, wer nicht wechselt, kann bei seinem Verlag bessere Bedingungen herausschlagen.“
Der Berliner Zeitungskrieg geht in diesem Jahr mit dem Umzug des Parlaments in die dritte Runde. Wie in jedem Krieg gibt es auch Kriegsgewinnler. Und die sind, ausnahmsweise, an der Front.
Evelyn Roll etwa ist die Chefin des Berliner Büros der Süddeutschen Zeitung. Auch die überregionalen Blätter haben sich in die Schlacht um Berlin gestürzt und erweitern ihre hiesigen Büros. Die Welt zog gar komplett in die Hauptstadt um und machte einen eigenen Lokalteil auf. Und zwischen Tagesspiegel, Berliner Zeitung und – nicht zu vergessen – Berliner Morgenpost ist der Kampf um die Lufthoheit über Berlin noch lange nicht ausgestanden. Das bedeutet: Mehr Stellen, höhere Gehälter, mehr Möglichkeiten zu wechseln.
In der Berliner Zeitungslandschaft hat in den letzten Jahren deshalb ein Bäumchen-wechsel-dich-Spiel eingesetzt, unabhängig übrigens von der jeweiligen politischen Präferenz der Zeitung. „Auch für einen tazler gibt es noch Chancen“, sagt Politikredakteur Götz Aly, der von der taz zur Berliner Zeitung ging.
Fast alle Zeitungen stocken derzeit ihren Stellenpool auf. Die FAZ will gleich mit 40 bis 50 Redakteuren in der Hauptstadt antreten – bisher sind es 15. Es sind auch 15 Neu-Berliner bei der Süddeutschen geplant, die Zeit will ihre neue Beilage, eine Verschmelzung des Magazins und des Ressorts Modernes Leben, nach Berlin bringen. Die Berliner Zeitung hat anläßlich ihrer letzten Layoutreform Redakteure gleich in Gruppen eingestellt, das Gros zu Gehältern von 10.000 Mark brutto aufwärts. Beim Tagesspiegel werden mit dem neuen Chefredakteur Giovanni di Lorenzo ebenfalls neue Stellen kommen.
Verleger verfluchen den Zeitungskrieg, der sie zwingt, Abermillionen in den Berliner Markt zu pumpen. Und das Ärgerlichste ist: Der Aufwand setzt sich bei weitem nicht 1 : 1 in Auflagenzahlen um. Der Tagesspiegel verkauft täglich quasi unverändert etwa rund 133.000 Zeitungen, die Morgenpost – leicht sinkend – 182.000 Stück, die Berliner Zeitung – stärker sinkend – 209.000 Exemplare. Die Welt bringt es in Berlin auf 18.515 verkaufte Blätter – die taz verkauft an der Spree immerhin 13.000. Für die FAZ und die Süddeutsche weist die IVW (Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern) keine Berliner Zahlen aus.
Was aber bedeutet der Zeitungskrieg für das Leben des einzelnen Journalisten? Härtere Arbeit, unseriösere, weil rascher zusammengeschusterte Geschichten, mehr Sensationsjournalismus? Wohl kaum, schenkt man den Aussagen von Kollegen Glauben. „Unter dem Konkurrenzdruck sind die Qualitätsblätter eher besser geworden, die Revolverblätter allerdings immer abgründiger“, sagte Gerd Nowakowski, früher taz und nun beim Tagesspiegel. „Für den Leser könnte es nicht besser sein.“ Und für den Redakteur? „Man muß nun viel schneller sein, man kann es sich nicht erlauben, eine Exklusivgeschichte auch nur einen Tag liegen zu lassen, weil man davon ausgehen muß, daß die anderen sie auch haben.“
Für Götz Aly ist es erstaunlich, daß sich die Berliner Zeitungen im Kampf nicht aus Marktgründen „ideologisch gespalten“ haben, sondern mehr oder weniger nach links gewandert sind. „Alle Zeitungen verurteilen zum Beispiel die ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Brandenburg.“
Berlin im Zeitungskrieg ist übrigens nicht nur Standort, sondern auch Sprungbrett. Franz Sommerfeld von der Berliner Zeitung wird nun Chefredakteur der Mitteldeutschen Zeitung in Halle. Streß im Zeitungskrieg? „Auf keinen Fall“, sagt er. „Die Konkurrenz hält einen davon ab, bequem zu werden.“ Eva Schweitzer
Eva Schweitzer war bis 1992 erst freie Mitarbeiterin, dann Lokalredakteurin der taz und ist nun in der Lokalredaktion des Tagesspiegels. Sie hat die Bücher „Großbaustelle Berlin“, „Hauptstadtroulette“ und „Traum-Reise-Metropole“ geschrieben und arbeitet an einem Buch über den Times Square, New York.
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