■ Daß die Stromkonzerne im Kampf um Atomkraft und Bilanzen plumpe Propaganda in eigener Sache betreiben, braucht niemanden zu wundern. Daß sie damit Erfolg haben, schon: Gezinkte Karten
Im Schatten des Krieges verschwinden die aufgeregten Händel um den Atomausstieg ganz unspektakulär in den Meldungsspalten der Gazetten. Ob das der Wahrheitsfindung dient, beantwortete die FAZ auf ihre Weise.
Das bestinformierte Blatt der Republik kolportierte noch am Mittwoch, Oskar Lafontaine sei wegen seiner „schlecht berechneten Steuerforderungen an die Stromkonzerne“ Opfer der Atomstreitigkeiten geworden. Wie bitte? Seit fast zwei Wochen ist bekannt, wer sich da Anfang März grandios „verrechnet“ hatte: Es waren die Finanzvorstände der Konzerne, die kleinlaut eingestehen mußten, daß nicht sie mit ihren 25 Milliarden Mark Nachzahlungen aus den wohlgefüllten Rückstellungstöpfen richtig lagen, sondern Oskar und Konsorten, deren Rückforderungen von Anfang an um jene 13 Milliarden pendelten, die sich nun bestätigen.
Moral: Die kleinen Schlagzeilen bergen für Bonn keine kleineren Risiken als die großen. Die in den Konzernzentralen ausgeheckte Desinformation geht auf den Wirtschaftsseiten so weiter, wie sie in den ersten Regierungsmonaten schon erfolgreich auf den Titelblättern gespielt wurde.
Das hat selbst Bild bemerkt. Das Blatt mokierte sich (zwei Tage vor der FAZ) über die „Rechenkünste“ der Atomstromer. Wer sich um solche Summen verrechne, „hat entweder seine Buchhaltung nicht im Griff. Oder er spielt mit gezinkten Karten.“ Die erste Alternative kann man vergessen.
Daß mindestens der potenteste Atomkraftbetreiber im Lande nicht nur seine Buchhaltung, sondern auch sonst alles im Griff hat, offenbarte Hans-Dieter Harig letzte Woche. Der PreussenElektra-Chef präsentierte einen historischen Rekordgewinn von 2,3 Milliarden Mark nach Steuern – am Ende eines Jahres, in dem angeblich mit dem heraufziehenden Wettbewerb auf dem europäischen Strommarkt für die deutschen Stromer die fetten Jahre unwiederbringlich vorbei waren.
Auch jenseits der nackten Zahlen gab Harig Erhellendes von sich. Zum Beispiel, daß abgeschaltete Atommeiler weder durch neue Gaskraftwerke noch durch erneuerbare Energieträger und auch nicht durch einen zeitgemäß effektiven Umgang mit Energie ersetzt werden müßten, sondern erst mal durch – gar nichts. Die vorhandenen Stromüberkapazitäten, versichert der Stromboß, reichen völlig aus. Im Klartext bedeutet Harigs Bekenntnis, daß deutsche Atomkraftwerke ersatzlos vom Netz gekappt werden können. Das nukleare Restrisiko, das höchste Richter den Deutschen einst glaubten zumuten zu können, dient demnach mittlerweile weder der sicheren noch der wirtschaftlichen Stormversorgung, sondern allein der Bilanzrechnung der Kraftwerksbetreiber. Eine interessante Veränderung der Bewertungsgrundlage, der sich die Verfassungsjuristen noch einmal widmen sollten. Ist uns das Restrisiko auch dann noch zumutbar, wenn es nur noch darum geht, daß Herr Harig wieder 2,3 Milliarden auf die hohe Kante legen kann?
Daß auf derlei Gereimtheiten kein empörter Aufschrei folgt, ist angesichts der Kosovo-Bilder verständlich und angemessen. Nur: Vorher war es nicht anders. Auch vor dem Start der Bomber ließen sich die Mitspieler im Poker um den Atomausstieg regelmäßig mit gezinkten Karten bluffen. Niemandem scheint aufzufallen, daß es die größten Atomstromproduzenten waren, die die alte Bundesregierung 1994 zur Aufgabe der Wiederaufarbeitungsanlagen in La Hague und Sellafield als einzigem Entsorgungsweg nötigten – aus guten ökonomischen Gründen. Nun wird Trittin, der die Unternehmen beim Wort nehmen wollte, flügelübergreifend als Anti-Atomkraft- Rambo abgewatscht.
Oder nehmen wir die geforderten Restlaufzeiten für die deutschen Meiler von 40 Jahren exklusive Revisionszeiten. Ausweislich der Statistiken der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien gingen die 80 bereits stillgelegten kommerziellen Meiler durchschnittlich nach 17,7 Jahren in die Knie. Klar, diese Zahl wird steigen, weil darin auch Meiler eingingen, die in der Frühzeit der Atomstromnutzung nach Kinderkrankheiten rasch vom Netz mußten. Dem Meiler in Würgassen machten die PreussenElektra-Ökonomen nach 23 Jahren den Garaus.
Zu denken gibt in diesem Zusammenhang auch die aktuell erreichte Laufzeit der 437 weltweit betriebenen Meiler: Sie beträgt 16,6 Jahre. Die 40-plus-x-Jahre- Forderung der Stromwirtschaft ist mithin ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft. Wirtschaftsminister Müller konterte die Vorstellungen der Stromwirtschaft mit einer Frage, für die allein er seinen Posten verdient hat: Ob die Unternehmen ihre Laufzeitvorstellungen auch aufrechterhalten würden, wenn die Bundesregierung sie umgekehrt zur Einhaltung von Laufzeiten von mehr als 40 Jahren verpflichten würde? Aus den Konzernzentralen war nach Müllers beiläufig geäußerter Frage nur noch ein verlegenen Räuspern zu hören. Gerd Rosenkranz
Gerd Rosenkranz
war lange Jahre Redakteur im Ressort Ökologie und Wirtschaft der taz. Neben der Frage des Atomausstieges beschäftigte er sich vor allem mit der Geschichte der RAF. Derzeit arbeitet er als Wissenschaftsredakteur beim Spiegel.
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