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Die Brücke nach Afrika

Weiße Elefanten im technischen Tierbereich. Zur Geschichte technischer Großprojekte zwischen Rationalität, Erfindungseifer und Gigantomanie  ■   Von Erhard Schütz

1933 konnten die Leser der Berliner Illustrirten das Projekt eines Flugzeugs als „Zementkanone“ bestaunen, mit dessen Hilfe eine Brücke über den Ärmelkanal errichtet werden sollte. Nur wenige Jahre später waren andere Flugzeuge überm Kanal unterwegs, um nicht nur Brücken zu zerstören. 1944, während mit V1 und V2 ein weiteres technisches Großprojekt zum Einsatz über den Kanal kam, verzweifelt davon ablenkend, daß das politisch-militärische Wahnprojekt des Dritten Reiches rapide zu Ende ging, pries ein Buch deutsche „Großraumtechnik“, „Ausdruck des Leistungswillens einzelner und ganzer Menschengruppen“, als einzig geeignet, die anstehende europäische Großraumordnung zu gewährleisten. Bis immerhin 1958 dauerte es, ehe ein Vorhaben offiziell begraben wurde, das wohl das technische Großprojekt schlechthin hatte werden sollen: Atlantropa.Unterstützt von den namhaftesten Architekten, Wissenschaftlern und immer wieder Technikern, begeistert begleitet von sämtlichen Medien, hatte der Architekt Hermann Sörgel seit 1927 mit Hilfe eines riesigen Staudamms bei Gibraltar und weiteren Dämmen bei Gallipoli und an den diversen Flußeinmündungen nicht nur reichlich Energie gewinnen, sondern das Mittelmeer weitgehend trockenlegen, Landverbindungen nach Afrika herstellen, die Sahara bewässern und durch gigantische Seen am Kongo und im Tschad das dortige Klima mäßigen wollen, damit Europäer angenehm leben könnten.

So maßlos das Projekt heute klingt, so umfassend und detailliert zugleich ist es über die Jahrzehnte hin ausgearbeitet worden. Das belegen eindrucksvoll die einschlägigen Illustrationen im Buch von Wolfgang Voigt. Selbst die Zukunft Venedigs war nicht vergessen: Umgeben von einem Stausee, sollte es als Kulturdenkmal erhalten bleiben. Das alles erscheint heute totalistisch und eurozentristisch, aber Sörgel, ein Pazifist und Paneuropäer, hat es als Beitrag zum Frieden und zur Erhaltung der Menschheit gedacht. Es gehörte zur allgemeinen Tendenz, für fundamentale Probleme nach totalen Lösungen zu suchen.

Holismus und radikaler Verfolg partikularer Perspektiven schlossen aneinander: Ganzheitlichkeit, Reorganisierung und Harmonisierung der Welt aus einer fixen Idee oder einer speziellen Technologie. Technische Großprojekte sind Schwundstufen teleologischer Geschichtsvorstellungen, Versuche der Zukunftskontrolle in der Gegenwart. Leicht könnte man in der Alpen-Architektur von Paul Scheerbart und Bruno Taut Vorläufer dazu erkennen, Fortsetzungen im sowjetischen Dawydow-Plan, ostsibirische Flüsse nach Süden umzuleiten, dadurch das Klima zu verändern, riesige Ländereien fruchtbar zu machen und Unmengen Energie zu erzeugen. Dabei wollte man sich der Sprengkraft von Atombomben bedienen, wie Edward Teller ebenso ernsthaft anregte, derart den lange projektierten zweiten Panamakanal herauszusprengen.

Dirk van Laaks faszinierende Studie über Anspruch und Scheitern technischer Großprojekte im 20. Jahrhundert wirkt wie eine Sammlung aus dem Gruselkabinett des technokratischen Machbarkeitswahns. Dennoch ist das nicht so eindeutig ins Abseits des ökologisch gesundeten Menschenverstands zu stellen. Nur wenige Projekte dienten offen einem Imponiergigantismus, wie etwa die Umbaupläne von Speer und Hitler zu Berlin oder das stalinistische Neue Moskau. Totalopolis blieb dem Film vorbehalten, „Metropolis“, Fritz Langs medientechnischem Großprojekt. Magnitogorsk und Eisenhüttenstadt, Canberra und Brasilia sind dagegen Beispiele funktionierender Neugründungen.

Technische Großprojekte reichen nahezu übers gesamte Zivilisationsspektrum: Kanäle und Brücken, Dämme und Deiche, Tunnel und Straßen gehören dazu wie die Entwicklung von Verkehrsmitteln zwischen Raumfahrt und Transrapid. Immer wieder geht es um Verkehr und Energie, um Geschwindigkeit und Reichweiten, um Erschließung, Entwicklung und Effektivierung. Zwar macht der Titel der Studie kein Hehl aus ihrer grundsätzlichen Pespektive: In Siam wurden Höflinge, die in Ungnade gefallen waren, mit weißen Elefanten beschenkt. Die immensen Unterhaltskosten der verwöhnten Tiere waren für sie ruinös.

Aber für van Laak gibt es keine ausschließlich destruktive Funktion wie es keine eindeutige Kopplung mit den Totalismen des Jahrhunderts gibt. Demokratische Gesellschaften haben technokratische Pakte ebenso geschlossen wie jene. Es scheint, als ob sie in ihren komplexeren politischen Orientierungen und kurzfristigeren konsumistischen Rücksichtnahmen zumindest weniger verschwenderisch mit Geld, Umwelt und Menschenleben umgingen. Und vom Zynismus und der Leichtfertigkeit des amerikanischen Atomprojekts läßt sich nicht auf Gleichheiten mit Nazi-Deutschland schließen, nur allgemein feststellen, daß kein System gegen immanenten Irrsinn und Inhumanismus völlig gefeit scheint. Es ist offensichtlich, daß die Großprojekte wenig zur gesellschaftlichen, gar menschheitlichen Optimierung beitrugen, sondern neue Risiken erzeugten. Aber man kann nicht daraus schließen, daß der Verzicht auf sie per se schon Sicherheit bedeutete. Dirk van Laak argumentiert abwägend. Statt zu raten, gibt er zu bedenken, nämlich tiefer als bisher nach den Gründen für die einschlägige, wechselweise Kollaboration von Technik und Politik zu suchen, u. a. der Genese einschlägiger kultureller Leitbilder nachzuspüren, die strukturelle Distanz technischer Funktionseliten zur Demokratie in den Blick zu nehmen, die Fixierung auf Wachstum und Entwicklung, das Denken in Infrastrukturen und deren Multiplikation zu revidieren.

Das sind Aufgaben für eine Historiographie, die die Bedeutung von Faszinationsgeschichte nicht unterschätzt und Phantasie und Begeisterung „als eigene Ressourcen in die Energiebilanz des 20. Jahrhunderts“ einkalkuliert.

Dirk van Laak: „Weiße Elefanten. Anspruch und Scheitern technischer Großprojekte im 20. Jahrhundert“. DVA, Stuttgart 1999, 304 Seiten, 39,80 DM

Wolfgang Voigt: „Atlantropa, Weltbauen am Mittelmeer“. Dölling und Galitz, Hamburg 1998, 144 Seiten, 48 DM

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