: Blutgeld und mutige Worte
■ Die iranische Justiz verbietet die Zeitung "San". Grund sind "antirevolutionäre" Harmlosigkeiten
Mehr als 320 iranische Journalisten haben sich am Wochenende mit einem Appell an den Präsidenten der Islamischen Republik, Mohammad Chatami, gewandt. Chatami solle sich für ihren persönlichen Schutz und den ihres Berufsstandes einsetzen. „Herr Präsident, die Schließung einer Zeitung bedeutet nicht nur ihr Verschwinden, sondern auch das Ende der Grundlage des Lebensunterhaltes der Journalisten und Angestellten des Blattes“, heißt es im Schreiben, das iranische Zeitungen gestern in Auszügen dokumentierten.
Anlaß ist eine neue Welle der Repression gegen kritische iranische Medien. Prominentestes Opfer ist Faiseh Haschemi, Tochter des früheren Präsidenten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani und Galionsfigur der iranischen Reformer. Anfang des Monats hatte ein Revolutionsgericht die von ihr herausgegebene Tageszeitung San (Frau) verboten. Begründung: Das Blatt verbreite „antirevolutionäre Propaganda“. Am 3. April hatte die Zeitung eine Grußbotschaft zum iranischen neuen Jahr veröffentlicht. „Im kommenden dritten Millennium wird unser traditionsreicher Iran mit Hilfe seiner wertvollen Kinder eine neue, glorreiche Epoche beginnen“, heißt es darin harmlos. Stein des Anstoßes ist jedoch die Autorin: Farah Diba, die in den USA lebende Witwe des 1979 gestürzten Schahs Resa Pahlavi. In der gleichen Ausgabe entdeckten die Richter eine Karikatur, die die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen kritisiert. Sie zeigt ein Paar, das von einem bewaffneten Räuber überfallen wird. Der Mann empfiehlt dem Räuber, wenn schon, dann doch bitte seine Frau zu ermorden und nicht ihn. Dann müsse er weniger „Dieh“ (Blutgeld) an die Hinterbliebenen zahlen. „Unmoralisch“, lautete das Verdikt der Juristen – über die Karikatur, nicht über die damit kommentierte Gesetzeslage.
Im von Konservativen dominierten Parlament wurde Faiseh Haschemi hernach als Monarchistin geschmäht. Zahlreiche Mitglieder ihrer Familie hätten zu Schah-Zeiten im Gefängnis gesessen, erwiderte Haschemi, selbst Abgeordnete. Die Grußbotschaft sei „wegen des Nachrichtenwertes“ veröffentlicht worden, das Thema Blutgeld eine „aktuelle Frage“ – und die Schließung ihrer erst seit Juli 1998 existierenden Zeitung „politisch motiviert.“
Doch trotz dieser mutigen Worte konnten die Zeitungsmacher ihre Ankündigung nicht wahrmachen, San weiter zu publizieren. Faiseh Haschemis Vater, Vorsitzender des mächtigen Feststellungsrates, soll besänftigend auf die Tochter eingewirkt haben, heißt es in Teheran.
Das Verbot von San ist kein Einzelfall. Allein 1998 seien acht Zeitungen von den Behörden geschlossen worden, heißt es in dem Appell an Präsident Chatami, zwei weitere Blätter seien von Schließung bedroht.
Die Attacken des konservativen Justizapparates gegen kritische Medien sind auch ein Angriff auf Chatami. Der als Reformer angetretene Präsident gilt als Verfechter einer freien Presse. Seit seinem Amtsantritt im Sommer 1997 enstanden zahlreiche neue kritische Zeitungen. Chatamis Gegnern gelten sie als Inkarnation der Abkehr von den Zielen der Islamischen Revolution, zu ihrer Bekämpfung sind ihnen viele Mittel recht – nicht nur juristische: Anfang des Jahres explodierte vor der Tür der Chatami-freundlichen Zeitung Chordad eine Bombe. Thomas Dreger
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