: War nicht so gemeint
■ Für Konsensgespräche doch keine Bedingungen. Bilanz der Liberalisierung
Hannover (taz) – Die Stromwirtschaft rudert zurück. Der Präsident der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW), Heinz Klinger, macht eine Fortsetzung der Energiekonsensgespräche nun doch nicht von einer Genehmigung neuer Castor-Transporte abhängig. Die Genehmigung von Transporten abgebrannter Brennelemente aus vier deutschen AKW nach Frankreich bezeichnete Klinger gestern als „eine vertrauensbildende Maßnahme innerhalb der Energiekonsensgespräche“. Diese Genehmigungen seinen aber „keine Bedingung für die Fortsetzung der Gespräche“.
Seine Forderung vom Wochenende nach Wiederaufnahme der Transporte seien falsch interpretiert worden, sagte Klinger. Vor der Fortsetzung der Konsensgespräche müsse allerdings die Frage der Rückstellungen „thematisch ausdiskutiert werden“. Dies sei so in dem letzten Gespräch zwischen dem Bundeskanzler und den Spitzen der Energiewirtschaft aber auch vereinbart worden.
Der VDEW-Präsident bilanzierte gestern auf der Hannover-Messe erstmals auch die Liberalisierung des bundesdeutschen Strommarktes, die vor einem Jahr in Kraft trat. Gewonnen hätten durch den neuen Wettberwerb „vor allem die industriellen Stromkunden“. 1998 sind die Industriestrompreise real um etwa 2,5 Prozent gesunken. Schon 1.600mal beantragten Industriekunden im vergangenen Jahr die Durchleitung billigeren Fremdstroms durch das Netz ihres bisherigen Versorgers – für eine Gesamtleistung von etwa 15.000 Megawatt, was einem Fünftel der Jahreshöchstlast des vergangenen Jahres entspricht. Zu tatsächlichen Durchleitungsangeboten kam es zwar nur bei jeder zweiten Anfrage. Aber nach Angaben von Klinger haben sehr viele Industriebetriebe die Liberalisierung auch dazu genutzt, um mit ihren bisheringen Energieversorgern bessere Preise auszuhandeln – im Einzelfall um bis zu ein Zehntel billiger.
Bei den Druckereien, in der Papierherstellung und in der Chemiebranche hätten rund die Hälfte der Unternehmen neue Stromlieferverträge abgeschlossen, sagte Klinger. Die privaten Stromverbraucher können allerdings weiterhin erst im nächsten Jahr ohne hohe Zusatzkosten zwischen verschiedenen Energieversorgern wählen. In 1998 sind denn auch die Strompreise für Privatkunden weiter leicht, nach VDEW-Angaben um 0,2 Prozent, angestiegen. Klinger sagte für Ende des Jahres ein Sinken der bisher kaum erschwinglichen Durchleitungsgebühren voraus, die Privatkunden bei einem Wechsel des Energieversorgers zu zahlen haben. Für einen Musterhaushalt betragen diese Durchleitungsgebühren bisher 11 Pfennig pro Kilowattstunde zzgl. 4 Pfennig Konzessionsabgabe an die jeweilige Kommune und damit mehr als ein Drittel des Strompreises. Ende des Jahres soll ein einfacheres und weitgehend automatisiertes Verfahren zur Berechnung der gegenseitigen Durchleitungskosten in Kraft treten, über das der VDEW bereits mehrerer Round-table-Gespräche mit Netzbetreibern, Stromanbietern, Verbrauchern und Umweltverbänden geführt hat. Jürgen Voges
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