: Rückkehr ins Labor
■ „Dialoge 99“ – Sasha Waltz ist wieder auf der Suche nach neuen Bewegungskräften
Vor sechs Jahren war Sasha Waltz noch ein Geheimtip. 1993 lud die damals dreißigjährige Choreographin ins Künstlerhaus Bethanien zu fünf Improvisationsabenden ein, die sie in jeweils nur zwei Wochen vorbereitet hatte. Ihre „Guests“, wie sie ihre Mitspieler seitdem nennt, sind bis heute als hartnäckige Avantgardisten bekannt: mit Dietmar Diesner, Sven Ake Johansson und Peter Hollinger hatte sie Routiniers der improvisierten Musik eingeladen, die Komponistin Sibylle Pomorin brachte einen ganzen Kinderchor mit, und der Vokalist David Moss, ein wandelnder Atlas des stimmlichen Möglichen, ließ das Publikum brummend, grollend und pfeiffend an einer akustischen Schöpfung teilhaben.
Weit reichte auch die Spanne des Bewegungspotentials: von der akrobatisch-gestählten Dänin Kitt Johnson, die mit Sasha Waltz kopfunter an einem Seil von der Decke hing, bis zu dem schlaksigen Frans Poelstra, der jede Anstrengung vermeidend oft bestürzend privat auf der Bühne rumlungert. Was dabei in so knapper Zeit entstanden war, überraschte nicht nur durch den Reichtum der Ansätze, einer tänzerischen Routine zu entkommen, sondern auch durch die spürbare Lust am Aufbruch und die Neugier auf die Möglichkeiten des anderen.
Ein Teil des Materials, das in diesen spielerischen Begegnungen entwickelt wurde, erwies sich später als Kern des erfolgreichen Stücks „Twenty to eight“; anderes wurde verworfen. Von den Tänzern der ersten „Dialoge“ gehört heute nur noch die wandlungsfähige Takako Suzuki zur Compagnie „Sasha Waltz & Guests“.
Mit den „Dialogen 99“ nimmt Waltz den Faden der Improvisation wieder auf. Sie öffnen den produktiven Prozeß in dem Moment, bevor das gefundene Material zum Stück überarbeitet und strukturiert wird. Danach habe sich Sasha zurückgesehnt, erzählt Yoreme Waltz, treue Öffentlichkeitsarbeiterin ihrer Schwester. Die Choregraphin gestand erst vor kurzem, als ihr im letzten Sommer produzierter Film „Allee der Kosmonauten“ Premiere hatte: „Das Schlimme am Film ist, er ist irgendwann fertig.“ Sie aber liebt den Arbeitsprozeß mehr als das Ergebnis.
Für die „Dialoge 99“ sind sieben Gäste eingeladen, sich in die Compagnie zu mischen. Als Bühnenbild dient der Raum der Sophiensaele, von dem Waltz & Guests bald Abschied nehmen. Auch pragmatisch bereiten die „Dialoge“ den Übergang an die Schaubühne vor, sucht die Choreographin doch nach Tänzern, um ihre Gruppe zu erweitern. Katrin Bettina Müller
21. bis 24. April, jeweils 20 Uhr in den Sophiensaelen.
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