: Mutige Männer unter Hitler und Stalin
Eine Ausstellung schildert Leben und Leiden von Kommunisten vor, während und nach ihrer Zeit im KZ Sachsenhausen ■ Von Philipp Gessler
Richard Mohaupt hat sein Glück in der Hölle des Konzentrationslagers in Sachsenhausen gefunden – seine Frau Camilla. Die 85jährige hat noch immer so schwarzes Haar wie damals, als der SS-Fotograf von Auschwitz sie ablichtete, in blauweiß gestreifter Häftlingskleidung. Das uralte Foto liegt auf dem Wohnzimmertisch der Mohaupts in ihrer Pankower Wohnung, wo der 88jährige erzählt, wie er das KZ Sachsenhausen bei Oranienburg überlebte.
Es ist eine Geschichte, die derzeit in der Ausstellung „Un-Einheitlich. Biographien ehemaliger kommunistischer Häftlinge des Konzentrationslagers Sachsenhausen“ an der FU nachzuvollziehen ist. Die Schautafeln beschreiben ein Minenfeld: die Geschichte von sechs KPD-Genossen vor, in und nach der Nazizeit. Die Wanderausstellung, Ergebnis eines studentischen Projekttutoriums, räumt auf mit dem Mythos der DDR-Historiker, die KPD habe unter der Leitung des Zentralkomitees „einheitlich und geschlossen“ dem Nazi-Regime widerstanden. Sie vermag aber ebenso die westdeutsche Legende zurechtzurücken, daß alle Kommunisten nur unter der Knute Stalins gekuscht hätten. Die Schau berichtet von mutigen, störrischen Männern, unangepaßt im Osten wie im Westen, die ganz unterschiedlich waren, die aber eines verband: ihre kommunistischen Ideale und ihr Haftaufenthalt in Sachsenhausen.
Da ist etwa Walter Riemer (1898 bis 1974). Von 1938 bis 1943 überlebte er im KZ Sachsenhausen. Dabei soll er einen polnischen Mithäftling geschlagen haben – das wurde ihm in der Nachkriegszeit bei der Anerkennung als Verfolgter des Naziregimes (VdN) in der DDR zum Verhängnis. Die Schläge gegen seinen Mithäftling, Unterstützung westlicher „Hetzpropaganda“ gegen den Arbeiter-und-Bauern-Staat sowie sein Austritt aus der SED 1950 führten zur Aberkennung seines Verfolgten-Status, der in der DDR mit Privilegien verbunden war. Erst wenige Jahre vor seinem Tod 1974 wurde ihm die VdN-Anerkennung gewährt.
Ganz anders Ernst Schneller (1890–1944). Er galt der SED als Lichtgestalt, ein führender Militärstratege der Partei, nach dem in der DDR Schulen, Straßen und Kasernen benannt wurden. Schneller verbrachte fünf lange Jahre, von 1939 bis 1944, im KZ Sachsenhausen. Er plante als Führer einer Häftlingsgruppe eine bewaffnete Selbstbefreiung der Häftlinge und wurde am 11. Oktober 1944 zusammen mit 26 anderen erschossen.
In der DDR benutzte die SED-Führung unter Walter Ulbricht diese Gestalt zur Rechtfertigung der Militarisierung und Disziplinierung der ganzen Gesellschaft. So heißt es in der Neuen Berliner Illustrierten im April 1961 unter dem Titel „Das Opfer war nicht umsonst“ über Schnellers Tochter: „Heute arbeitet Annemarie Raeder im VEB Tabak-Universalmaschinen Dresden im Stangenlager. Fleißig, gewissenhaft und vorbildlich, so, wie sie von Vater, Mutter und von der Partei erzogen wurde.“
Gänzlich gebrochen ist die Biographie Max Emendörfers (1911 bis 1974). Er verbrachte mehr als 14 Jahre seines Lebens in Gefängnissen und Lagern, zweimal im Lager Sachsenhausen, erst unter den Nazis, später unter den Sowjets. Emendörfer wurde 1934 verhaftet und durchlitt 1936/37 elf Monate im KZ Sachsenhausen. Die Gestapo versuchte vergeblich, ihn nach seiner Haftentlassung als Spitzel zu gewinnen. Um dem Druck zu entgehen, meldete er sich freiwillig zur Wehrmacht. Doch desertierte er an der Ostfront mit dem Spruch: „Genossen, ich bin kein Faschist, ich bin ein deutscher Kommunist.“ Obwohl nur einfacher Soldat, wählte man ihn 1943 zu einem der fünf Vizepräsidenten des Nationalkomitees Freies Deutschland (NKFD), einer von den Sowjets unterstützten Propagandaorganisation, die sich bemühte, deutsche Soldaten zur Aufgabe ihres unrechten Kampfes zu bewegen.
Nach Kriegsende kehrte er nach Deutschland zurück, wurde aber schon nach wenigen Tagen vom sowjetischen Geheimdienst erneut verhaftet: Er habe als Gestapo-Spitzel gearbeitet, sich freiwillig zur Wehrmacht gemeldet und sich in die amerikanische Besatzungszone abgesetzt, wurde ihm vorgeworfen. Emendörfer verbrachte die folgenden elf Jahre in sowjetischen Kriegsgefangenenlagern, unter anderem auch wieder zwei Jahre im KZ Sachsenhausen. Aus Sibirien wurde er schließlich als einer der letzten deutschen Gefangenen 1956 nach Hause gebracht, fuhr aber nicht nach Westdeutschland, sondern stieg schon in der DDR aus dem Zug.
Über die Umstände seiner sibirischen Gefangenschaft durfte er in der DDR nicht reden. Emendörfer arbeitete in der Wirtschaftsredaktion des Hallenser SED-Parteiorgans Freiheit, engagierte sich sogar für die deutsch-sowjetische Freundschaft und fuhr in die UdSSR in Kur. Den Vorwurf, Gestapo-Spitzel zu sein, räumte die SED jedoch niemals eindeutig aus. Zwar erhielt er 1961 den Vaterländischen Verdienstorden, aber erst 1990 rehabilitierte ihn die PDS posthum.
Unangepaßt auch Rudi Wunderlich (1912–1988): Er kam 1939 nach Sachsenhausen. Eines Tages im Sommer 1944 abgestellt als Bauarbeiter auf einer SS-Baustelle, gelang es ihm zu fliehen und bis Kriegsende in Leipzig unterzutauchen. In der DDR wollte er gern bei der Stasi arbeiten, wurde aber nicht übernommen, weil er in der Weimarer Republik einer Splittergruppe der KPD angehört hatte, der KPD-O, die sich für die Einheitsfront der Kommunisten mit den Sozialdemokraten einsetzte. Damit galt er als potentiell unzuverlässig.
Als Wunderlich 1970 den DDR-Dissidenten Robert Havemann zu einer Befreiungsfeier einlud, verlor er seinen Posten als hauptamtlicher Sekretär beim Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer und wurde in Pension geschickt. Erst 1982 rehabilitierte ihn die SED. Enttäuscht von seiner Partei, verlangte er kurz vor seinem Tod 1988, nicht auf dem Ehrenfriedhof in Friedrichsfelde beigesetzt zu werden, sondern in einem anonymen Urnengrab. Doch auch im Westen machte er schlechte Erfahrungen. Bei einem Bonner Prozeß gegen zwei SS-Mörder in Sachsenhausen konnte er zwar detaillierte Angaben zu deren Taten machen, die Verbrecher aber kamen unter skandalösen Umständen mit milden Strafen davon.
Richard Mohaupt, der als einziger der sechs KZ-Häftlinge noch lebt, hat dennoch nie an seiner Partei gezweifelt. Selbst im KZ bekannte er sich vor einem besonders brutalen Wächter offen dazu, Kommunist zu sein – und mußte erleben, wie ein jüdischer Häftling neben ihm, offensichtlich statt seiner, mit einem Tischbein zu Tode geprügelt wurde: Als Kommunist hatte man den Schutz einer starken und straff organisierten Gruppe im Lager. In den letzten Kriegsmonaten wurde er in das Lager Bergen-Belsen gebracht. Er war auf 78 Pfund abgemagert und hatte Flecktyphus. Camilla, als Kommunistin in Auschwitz inhaftiert und nach einem Todesmarsch nach Bergen-Belsen gekommen, pflegte ihn gesund, brachte ihm wieder das Laufen bei – noch im August 1945 heirateten sie. „Sie hat mir das Leben gerettet“, sagt er heute mit einem Blick auf seine Frau.
Mohaupt bekam in der DDR eine Ehrenrente als kommunistischer KZ-Häftling. Westdeutschland ist für ihn immer noch „drüben“, die DDR sei „zerschlagen“ worden, erklärt er. Jetzt hat er Wasser in den Beinen, Magenprobleme und manchmal Alpträume wegen der Erlebnisse im KZ vor mehr als fünfzig Jahren. Aber er ist ein fröhlicher Mann mit einem anstekkenden Lachen.
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