: Arbeitet niemals!
Demokratisch-revolutionär-libertär: Der Nautilus-Verlag feiert Jubiläum ■ Von Joachim Dicks
„Für einen Menschen aus der Vorstadt gibt es ja nur zwei Möglichkeiten, etwas aus seinem Leben zu machen: entweder er wird Popstar oder Verleger.“ Für Lutz Schulenburg und Hanna Mittelstädt fielen die Würfel Anfang der 70er Jahre für das Verlagsgeschäft – vielleicht weil Hendrix, Morrison und Joplin doch kein überzeugendes Vorbild waren.
Selbst in Hamburger Anarchistenkreisen aktiv, entdeckten sie damals die Texte der französischen Situationisten. Guy Debord, Michèle Bernstein und Asger Jorn, die geistigen Urheber der 68er Bewegung, stellten sich in die Tradition der Dada- und Surrealisten und forderten mit ähnlichen antibürgerlichem Gestus eine Revolution des Lebens. „Ne travaillez jamais!“ – „Arbeitet niemals!“ – so lautete das erste situationistische Gebot, das erste auch, das die Gründer des Nautilus-Verlages brechen mußten, um eine Überlebenschance zu haben.
Am Brink 10, mitten in Bergedorf haben sie sich über einem italienischen Restaurant und dem NABU-Ortsverein eingenistet. Eine knarzende Treppe führt zu den Büroräumen. Die verlagseigenen Bücher sind darin bis unter die Decke gestapelt. Die Schreibtische mit Papier übersät, über dem Konferenztisch hängt ein Plakat von Marx und Moritz. Zum Gespräch gibt's standesgemäß coffee and cigarettes. Sie, das sind Lutz Schulenburg (Verleger), Hanna Mittelstädt (Lektorin, Rechte und Finanzen) und Andreas Schäfler (Presse).
Den anarcho-situationistischen Wurzeln sind die Büchermacher von Nautilus treu geblieben, auch wenn sie ihr Verlagsprogramm längst um Krimis, Biographien und Werkausgaben wie die von Franz Jung erweitert haben. „Wir wollen doch auch unmittelbar als Zeitgenossen wirksam sein, als Menschen, die heute leben und frei sein wollen von der Last der Geschichte. Mich interessiert Geschichte ja nicht, weil das Vergangene so bunt ist, sondern um hier und heute zu handeln.“ Lutz Schulenburg denkt nicht nur an Franz Jung, den er verehrt, weil er als Küstenbewohner einmal einen Fischkutter geklaut hat, sondern auch an die Autobiographie von Inge Viett. Nachdem der Rowohlt Verlag das Buch wegen Terrorismusverherrlichung abgelehnt hatte, landete der Text in Bergedorf. Hanna Mittelstädt: „Wir haben das Buch gemacht, weil wir es auf jeden Fall wichtig fanden, daß über diese Zeit der deutschen Geschichte gesprochen wird, vor allem daß von den Teilnehmern der Bewegung des 2. Juni eine Geschichtsschreibung begonnen wird.“ Das Interesse beim Publikum ist groß, das Buch läuft gut. In Reinbek denkt man jetzt an eine Taschenbuchauflage.
Unter den 250 Titeln aus 25 Jahren Verlagsgeschichte befinden sich längst auch etablierte Schriftsteller wie Peter Hacks, den Lutz Schulenburg einen „Goethe zu Fuß“ nennt, und Dauerbrenner wie Dinner for one – das Buch zum Film. Ex- und Noch-taz-Autoren wie Wiglaf Droste und Ralf Sotschek amüsieren und provozieren ebenfalls im Nautilus-Format.
„Geschmack ist die Grundlage unseres Tuns. Geschmack ist ja auch das, was beim Lesen herauskommen soll. Er soll sich verbessern und befriedigt werden,“ erklärt Lutz Schulenburg die Verlagskriterien. Aber nicht nur das: „Wir sind natürlich immer noch hart für die Aufklärung, für eine Erweiterung des sozialen und kulturellen Lebens und bleiben der demokratisch-revolutionären-sozialistisch-libertären Tradition verbunden.“ Aus den großen, leidenschaftlichen Tönen schwingt natürlich eine gehörige Portion Trotz gegen die großen Verlage mit, die mit ihren Monopolisierungstendenzen den kleinen, unabhängigen Verlagen den Hahn zudrehen wollen. „Niemals wird das Bedürfnis nach Kreativität, schöpferischer Freiheit und Überschwang aussterben – trotz des Kapitalismus.“ Darauf muß man doch anstoßen! Laßt die Sektkorken knallen! Happy Birthday!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen