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Bauernpoker und Tourismus

Im Hohen Fläming demonstrierte der ADFC, welche Potentiale Brandenburg als Tourismusstandort hat – und wo sie nicht genutzt werden. Das Land fördert seit zwei Jahren gezielt das Fernroutennetz  ■   Von Martin Kaluza

Pfeilschnell huscht der Regionalexpress Richtung Belzig und wiegt dabei sanft die Fahrräder, die in seinem Bauch mit Gurten festgezurrt sind. Der ADFC hat zur Pressefahrradtour geladen, um die Schönheit des Berliner Umlandes ebenso vorzuführen wie den Status quo des Radwegenetzes.

Noch während der Fahrt erklärt Axel von Blomberg, Tourbegleiter des ADFC aus Potsdam, daß die äußeren Regionen Brandenburgs von Fahrradtouristen immer noch unterschätzt würden. Im nahen Umland Berlins gebe es zehnmal so viele Radtouristen wie weiter draußen. Dabei ist die Anfahrt mit den für Radler besonders bequemen Doppelstockzügen oft kürzer als erwartet: Die Fahrt von der Friedrichstraße nach Belzig dauert gerede einmal 63 Minuten – für Autofahrer kaum zu schlagen.

Die Tour beginnt am Wahrzeichen Belzigs: Die Burg Eisenhardt hat ihren Ursprung in einer Wehranlage aus dem fünften Jahrhundert vor Christus, heute beherbergt sie das Heimatmuseum, ein Hotel und einen Burgkeller mit Kulturprogramm. Vom gut 800 Jahre alten „Butterturm“ ist der Hagelberg zu sehen. Oder besser, einer der umliegenden Hügel muß es sein. Dort schlugen 1813 Preußen und Russen Napoleon zurück, und nicht zuletzt deshalb wurde Belzig kurz darauf preußisch. Der Reiseführer auf der Burg betont eindringlich, daß Belzig vor 1815 sechshundert Jahre lang sächsische Grenzstadt war, und ist sich sicher, daß es eines Tages nach Sachsen zurückkehren wird. Später erklärt mir sein Kollege: „Das sagt er immer, wenn Berliner dabei sind. Die gehen jedesmal an die Decke.“ Und noch aus einem anderen Grund ist der Hagelberg wichtig: Dank seiner 200,10 Meter zählt der Hohe Fläming gerade noch als Mittelgebirge.

Am Stadtrand von Belzig beginnt der Europa-Radwanderweg R 1. Wenn man von hier den Schildern folgt, kommt man über Wittenberg, Höxter, Münster und Den Haag schließlich irgendwann in Calais an. Östlich von Belzig ist die geplante Route in Brandenburg und Berlin noch oft unterbrochen, aber eines Tages soll sie bis nach Riga fortgesetzt werden. Der Abschnitt in Polen ist bereits bis Rußland ausgeschildert.

Seit der Wende hat das Wirtschaftsministerium Brandenburg den Bau oder Ausbau von 1.600 Kilometern Radweg in 24 Projekten mit 172 Millionen Mark gefördert. Systematisch wird seit zwei Jahren vor allem das Fernroutennetz ausgebaut. Trotzdem, so meint Benno Koch, Pressesprecher des ADFC Berlin, sei das Radwegenetz in Brandenburg nicht so gut wie im Rest der Republik. Außerdem seien keineswegs alle Strecken gut ausgebaut. Koch: „Auf manchen Radwegen steht man knöcheltief im Sand.“ Zudem lasse die Vermarktung des Fahrradtourismus in Brandenburg noch zu wünschen übrig. Über Bergholz nach Grubo verläuft der Radweg am Rande der Landstraße. Gelegentlich deuten winzige Schilder mit dem schlichten Text „R 1“ an, daß es hier um Höheres geht. Nach Richtungs- oder Entfernungsangaben sucht man hier vergeblich.

Rechter Hand ist die 196 Jahre alte Borner Bockwindmühle zu erkennen. Der Abstecher lohnt sich, obwohl die Attraktion vom Radweg aus nicht ausgeschildert ist. Axel von Blomberg, Tourbegleiter des ADFC aus Potsdam, hält das für typisch Brandenburg. Die Mühle ist auf auf grünen Täfelchen an Wanderwegen ausgewiesen, ganz nach dem alten DDR-Kulturbundprinzip. „Das Fahrradwegenetz ist damit aber nicht abgestimmt und führt oft an solchen Kulturdenkmälern vorbei.“ Der örtlichen Gastronomie geht durch solche vermeintlich kleinen Versäumnisse echtes Geld durch die Lappen: Wer vom Radweg zu einem kleinen Bildungsabstecher gelockt wird, nutzt die Pause auch für einen Imbiß. Und bei Fahrradtouristen, das hat man in der Schweiz festgestellt, sitzt das Geld besonders locker. Nur ein kurzes Stück hinter der Abfahrt zur Mühle ist die Teerdecke des R 1 zweimal für ein paar Meter unterbrochen. Ein widerspenstiger Bauer hat beim Feilschen um den Streifen Land, über den der Weg führen sollte, zu hoch gepokert. Nach etwas Gehoppel beginnt der asphaltierte Teil von neuem.

In Grubo biegen wir vom R 1 ab und folgen einem geteerten Waldweg, der als Radweg ausgewiesen ist. „Straßenbegleitende Radwege“, so von Blomberg, „sind einfach zu langweilig.“ Mit autofreien Wald- und Feldwegen wie diesem ziehe man Wochenendradler an. Sie sind in der Tat so komfortabel, daß Pkw mit Pollern draußen gehalten werden müssen, an denen sich prompt unkonzentrierte Teilnehmer der Tour verfangen. Wir erreichen die Alte Brennerei Raben. Ob hier früher Kalk oder Schnaps gebrannt wurde, kann heute keiner mehr sagen. Inzwischen hat hier die Verwaltung des 827 Quadratkilometer großen Naturparks Hoher Fläming ihren Sitz. Von hier aus werden Fahrradausflüge (unter anderem eine „Frauenradtour am Vatertag“) und behindertengerechte Tourismusangebote organisiert, Fahrräder können geliehen werden. In einem Ausstellungsraum werden typische Agrar- und Naturerzeugnisse aus der Gegend gezeigt und verkauft, von Honig über Met bis hin zu Kamillensalbe und Adventskerzen. Für Kinder gibt es 12 mysteriöse Kästen zum Reinfassen.

Gleich nebenan, auf dem Steilen Hagen, liegt in 153 Metern Höhe die Burg Rabenstein, die sich auf die österlichen Rittertage vorbereitet. Der 82jährige Oskar Kunert, der hier bei Festspielen und Filmarbeiten seit Jahren den „Burgherrn Kunibert Oskar von Rabenstein“ gibt, erläutert die Geschichte der Festung. Vom Belziger Grafen im zwölften Jahrhundert gegründet, diente sie bei der schon erwähnten Schlacht gegen Napoleon dem schwedischen Kronprinzen Bernadotte als Hauptquartier und wird seit 1956 als Jugendherberge genutzt. Nach der Abfahrt vom Steilen Hagen folgt der landschaftlich schönste Teil der Tour. Wir holpern über Kopfsteinpflaster nach Lehnsdorf, über Alleen und durch Buchenwälder nach Setzsteig, umfahren noch den Frauenberg und strampeln der letzten Station entgegen.

Eine Radtour muß, soll sie eine runde Sache sein, zur verdienten Stärkung in einem Gasthaus enden. Und kaum rollt der Troß in Medewitz aus, dem letzten Ort vor Sachsen-Anhalt, tritt mit den Rouladen im Gasthaus Kegel der kulinarische Idealfall ein. Das Rezept hat Wirtin Gerlinde Kegel von der sprichwörtlichen Großmutter. Übrigens sind in dem Gasthaus schon vor der Wende regelmäßig die einschlägigen Bluesbands der DDR aufgetreten. Heute geben sich alte Größen und unbekannte Kapellen aus dem Umland die Klinke in die Hand.

Gerlinde Kegel will in Zukunft weitere Radwanderer anziehen. Sie plant, einige Räume zu Fremdenzimmern auszubauen und vielleicht sogar bald ein „Heuhotel“ zu eröffnen: „Fahrradtourismus ist das Beste, was uns in so einer ländlichen Region passieren kann.“ Allerdings glaubt sie auch, daß die Fremdenverkehrsstellen noch nicht ausreichend mit den Pfunden wuchern, die die Region zu bieten hat: „Die gehen einfach davon aus, daß die Burgen im Fläming schon bekannt sind. Dabei könnte man noch viel mehr Werbung machen.“ Mit Naturparks wie dem Hohen Fläming und den Radwanderwegen an seinen Flüssen und Seen hätte Brandenburg eigentlich das Zeug, mehr Velotouristen anzuziehen.

Wenn die Region das erkennt, so hofft der ADFC, könnten hier eines Tages ähnliche Zustände herrschen wie an der Weser oder an der Donau. Dort radeln Familien und Rentner genauso wie Langstrekkenfahrer, Gasthäuser und Raststätten gehen gezielt auf die Radler zu: „Da wird die Oma mit dem Handy an den Radweg gesetzt und macht Velotouristen die Übernachtung klar,“ schwärmt von Blomberg.

Museum Burg Eisenhardt, Wittenberger Str. 14, 14806 Belzig, 033 841-424 61. Naturparkverwaltung Hoher Fläming, Brennereiweg 45, 14823 Raben, 033 848/600 01. Information Burg Rabenstein: FVV Niemegker Land e.V., Brennereiweg 44, 14823 Raben, 033 848/600 29. Gasthaus Kegel, Dorfstraße 49, 14827 Medewitz, 033 849/504 66.

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