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"Angst versaut den Urlaub"

■ Menschen, die anders aussehen, müssen sich in den neuen Bundesländern vorsehen. Aber: Es gibt keine Topographie des Terrors, meint die Szenenkennerin Anetta Kahane

taz: Das Auswärtige Amt gibt regelmäßig Tips, wohin deutsche Touristen besser nicht reisen, weil mit Anschlägen zu rechnen ist. Wie sieht das umgekehrt für Touristen in Deutschland aus? Kann eine Klasse, in der es Kinder türkischer und arabischer Herkunft gibt, ohne Bedenken an die Ostsee reisen?

Anetta Kahane: Im Prinzip ja. Aber die Gefahr, wenn man an die Ostseeküste in den neuen Bundesländern fährt, ist natürlich höher als in den alten Bundesländern. Atmosphärisch kann es da allemal unangenehmer sein.

Wie sollten sich Touristen dunkler Hautfarbe konkret verhalten?

Ich finde es eigentlich total absurd, daß Leute darüber nachdenken müssen, unter welchen Bedingungen sie in die neuen Länder fahren, wenn sie nicht so arisch aussehen wie die Bevölkerung dort. Das versaut einem ja schon vorher den Urlaub. Ich würde der Schulklasse zum Beispiel raten, sich vorher mit Leuten in Verbindung zu setzen, die vor Ort sind. Die können dann sagen, inwieweit es Initiativen gibt, die dafür sorgen, daß keine Probleme entstehen.

Kann man konkret sagen, wohin ausländisch aussehende Menschen besser nicht reisen?

Man kann keine Topographie des Terrors machen für die neuen Bundesländer – mit wenigen Ausnahmen. Dort würde ich auch nicht hinfahren, selbst wenn ich nicht ausländisch aussehe. In Rudolstadt und Saalfeld in Thüringen und im Muldentalkreis bei Leipzig ist es wirklich schlimm. Aber da würde auch kein Tourist hinfahren, so toll sind die Gegenden nicht. Die Verwaltung und politischen Vertreter dort haben kein Unrechtsbewußtsein. Wenn da was passiert, gilt eher der Grundsatz: selber schuld, was kommen die auch hierher. Aber für die meisten anderen Orte in Ostdeutschland verbieten sich solche Warnungen.

Gibt es auch Orte, wo jeder und jede hinreisen kann?

Sicher ist es eher in den großen als in den kleinen Städten. Am schwierigsten ist es auf dem Land – wobei es da auch Ausnahmen gibt. In den Innenstadtbezirken ist es meist besser als in den Neubaugebieten – wobei zum Beispiel Weimar auch in der Innenstadt bisher nicht so gut dasteht. Aber die touristischen Zentren in der alten DDR sind größtenteils so, daß da jeder hinfahren kann.

Tauchte das Problem des Ausländer-Mobbings erst nach der Wende auf?

Vor der Wende gab es auch schon Überfälle auf Campingplätze, aber nicht in solchem Ausmaß wie in den vergangenen Jahren. Lesbische und schwule Camps litten auch zu DDR-Zeiten unter Anmache und Übergriffen.

Sind die Leute im Westen fortschrittlicher?

Im Westen gibt es ein paar Spielregeln, an die sich die Leute gewöhnt haben. Da ist der Boden zwar auch dünn, wie man ja an der Unterschriftenkampagne der CDU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft sieht und dem ganzen Dreck, der da hochgekommen ist. Aber im Westen geht man mit internationalen Touristen schon aus ökonomischen Interessen besser um. Im Osten dagegen ist der Markt oft noch gar keine Kategorie, in der man denkt. Im Umland von Berlin zum Beispiel verhalten sich die Leute total ignorant gegenüber türkischen Mittelständlern, die sich da ansiedeln wollen. Da ist die Fremdenfeindlichkeit der stärkere Impuls als das wirtschaftliche Interesse. Mir sind die Motive egal, warum Leute nicht gleich durchdrehen, wenn sie Ausländer sehen – Hauptsache, sie tun es nicht. Wenn das ein ökonomisches Interesse ist, ist das auch okay. Interview: Annette Jensen

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