Kommentar: Augen zu und durch
■ Wo das Kosovo-Abenteuer für die Nato enden wird, ist ungewiß
„Weiter so!“ Unter dieser Devise, mit der die Regierung Kohl ihre letzte Amtszeit aussaß, versucht es jetzt auch die Nato. Die seit fast fünf Wochen erfolglose, gemessen an den urspünglichen Zielen sogar kontraproduktive Strategie des Luftkriegs gegen Restjugoslawien, wird verschärft fortgesetzt. Trotz erheblicher Zweifel bei Politikern und Militärs fast aller 19 Bündnisstaaten; und trotz Geheimdienstanalysen, die in deutlichem Kontrast zu den Erfolgsmeldungen von Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping, Nato-Oberbefehlshaber Wesley Clark oder Nato-Generalsekretär Javier Solana stehen.
Zunehmend unglaubwürdig wirken insbesonders Verteidigungsminister Scharping und Bundesaußenminister Joschka Fischer, wenn sie auf der einen Seite ausführlich und nicht selten mit Analogien zur NS- Zeit die brutalen Vertreibungs- und Vernichtungsverbrechen der serbischen „Sicherheitskräfte“ gegen die Kosovo-Albaner schildern, dann aber andererseits einen Einsatz deutscher und anderer Infantristen zur Unterbindung dieser Verbrechen mit Hinweis auf die Risiken für die Soldaten ablehnen.
Mit dieser Strategie des „Augen zu und durch“ läßt sich vielleicht noch beim Sonderparteitag von Bündnis 90/Die Grünen Mitte Mai eine Mehrheit für Fischer herstellen und damit das (vorläufige) Überleben der Bonner Koalition sichern. Daran sind nicht zuletzt auch die Regierungen in Washington, London und Paris interessiert. Denn sie wissen schließlich, daß sich im Endeffekt der Einsatz von Nato- Bodentruppen – darunter auch deutsche – mit Rot-Grün an der Regierung in der Bundesrepublik besser durchsetzen ließe als mit allen anderen derzeit theoretisch denkbaren Bonner Regierungskoalitionen. Doch egal, wer künftig in Bonn regieren wird: Das Dilemma, in das die Nato sich auf Grund eigener Hybris und gravierender Fehlkalkulationen anläßlich ihres 50. Geburtstages hineingeritten hat, bleibt ungelöst.
Selbst mit weitaus besseren Öffentlichkeitsstrategien als sie die Allianz und ihre Mitgliedsregierungen derzeit an den Tag legen, ließe sich dieses Dilemma nicht aus der Welt schaffen. Wann und wo das Kosovo-Abenteuer der Nato schließlich enden wird, und ob das Bündnis dieses Abenteuer langfristig politisch überlebt, ist nach dem Washingtoner Jubiläumsgipfel genauso offen wie vorher. Andreas Zumach
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