: Chefbankier bereichert sich in der Krise
Brasilien im Januar: Die Landeswährung fällt, Fabriken schließen, der Aktienindex sackt, Lateinamerika scheint verloren. Doch der Notenbankchef gewinnt 1,6 Millionen Dollar durch Hinweise ■ Aus Sao Paulo Gerhard Dilger
„Erst zehn Jahre nach meinem Tod“, so Brasiliens Finanzminister Pedro Malan zu einigen Senatoren, werde die Wahrheit über den Rücktritt des Ex-Zentralbankchefs Francisco Lopes ans Licht kommen. Der angesehene Ökonom Lopes war Ende Januar auf dem Höhepunkt der Währungskrise entlassen worden – gut zwei Wochen nachdem er sein Amt angetreten hatte. Es sieht nicht danach aus, als sollte Malan recht behalten: Am Montag abend wurde Lopes nach seiner Weigerung, vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß auszusagen, in Brasilia kurzzeitig verhaftet – der bisherige Höhepunkt des Skandals.
Präsident Fernando Henrique Cardoso hatte schon während seiner Europareise vor zwei Wochen versucht, die Affäre im Keim zu ersticken. Die Durchsuchung von Lopes' Wohnung in Rio verglich er mit Polizeipraktiken aus der Zeit der Militärdiktatur. Umsonst: Die Staatsanwaltschaft stellte eine handschriftliche Notiz über 1,6 Millionen Dollar auf einem privaten Auslandskonto sicher. Denn parallel zu seiner Tätigkeit in der Zentralbank seit 1995, wo Lopes lange mit der Festlegung der Leitzinsen befaßt war, agierte er offenbar weiter in der von ihm gegründeten Consultinggruppe Macrometica – der Form halber hatte er seine Anteile auf seine Frau übertragen. Im Januar wurde er zum Chef der Notenbank bestellt, um die unvermeidlich gewordene Real-Abwertung durchzuführen.
Während viele Banken und Privatleute durch den rechtzeitigen Ankauf von Dollars kräftige Gewinne einfuhren, verspekulierten sich die Privatbanken Marka und FonteCidam auf den „Zukunftsmärkten“. Die Zentralbank übernahm die Verpflichtungen, angeblich, um einen Systemcrash zu vermeiden. Kosten dieser Aktion für den Staat: knapp 1,57 Milliarden Reais (1,8 Milliarden Mark). Der Untersuchungsausschuß beschäftigt sich mit der Frage, ob die Banken vor der Abwertung gewarnt worden waren und US-Dollar zu einem günstigeren Kurs einkaufen konnten. Papiere in Lopes' Wohnung und in den Büros der Banken legen diesen Verdacht nahe.
Brasilien habe seine Finanzprobleme im Griff, wird Cardoso nicht müde zu verkünden. Nach einer drastischen Abwärtsbewegung, die mit der Freigabe der Wechselkurse Mitte Januar eingesetzt hatte, konnte der Real seit Anfang März wieder Boden gewinnen. Seit dem 12. Januar beträgt die Abwertung nun noch 28 Prozent. Der befürchtete Inflationsschub ist ausgeblieben. Doch die Rezession ließ die Arbeitslosigkeit auf Rekordhöhen klettern. Im Großraum São Paulo beträgt sie nach Berechnungen eines gewerkschaftsnahen Instituts 20 Prozent.
Ein halbes Jahr nach seiner deutlichen Wiederwahl ist der Präsident Cardoso beim Volk unbeliebter denn je zuvor. Ihm scheint die Kraft für die angekündigten Reformen des Steuersystems und des schwerfälligen Verwaltungsapparates zu fehlen. Neben der Privatisierung von Gas- und Stromwerken wurden bisher nur die vom Internationalen Währungsfonds angemahnten Haushaltskürzungen auf den Weg gebracht. Die internationalen Finanzmärkte sind zufrieden: „Leichen beunruhigen mich nicht“, so ein US-Investor kürzlich über die Lopes-Affäre. Das kann sich ändern: Lopes will sich offenbar nicht zum Sündenbock abstempeln lassen. Sein Schweigen „enttäuschte“ den Präsidenten, der nun eine Ausweitung des Skandals befürchtet. Und der Börsenindex von São Paulo sank prompt um 2,1 Punkte.
Im Inland geistert das Bild vom „Kasino“ immer häufiger durch die regierungskritische Presse. Die Croupiers wechseln nach Belieben die Seiten und verteilen gezinkte Karten. Denn Lopes' Nachfolger als Notenbankchef, Arminio Fraga, ist der Lieblingskandidat der Märkte, war er doch zuvor Adlatus von Spekulant George Soros. Dabei stellen die bisherigen Enthüllungen erst den Anfang dar. Seit 1994 sprang die Zentralbank 188 notleidenden Geldinstituten bei. Für die Finanzzeitung Carta Capital liegt der eigentliche Skandal in der jahrelangen Stützung der überbewerteten Währung: Dies habe in den vergangenen fünf Jahren 158 Milliarden Dollar gekostet.
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