: Nato-Bomben schädigen Mensch und Umwelt
■ Natobomben sind ein Kriegsverbrechen, sagen jugoslawische Journalisten und ein SPD-Politiker: Uranstrahlen greifen die Gesundheit der Menschen an und verseuchen die Böden
Für Hermann Scheer, Bundestagsabgeordneter der SPD, haben die Nato-Angriffe auf Jugoslawien ein „kriegsverbrecherisches Ausmaß“ erreicht. Die Bombardements der Allianz seien offensichtlich auch auf zivile Ziele gerichtet, „die militärisch durch nichts legitimierbar sind. Sie sind Brüche der Genfer Konvention zum humanitären Kriegsvölkerrecht.“ In Jugoslawien drohe infolge der Angriffe eine ökologische Katastrophe. Das sei „ein Bruch des Umweltkriegsverbots“. Das serbische Volk werde „in Geiselhaft für das Miloevic-Regime genommen“.
Scheer forderte in Bonn auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Angehörigen der demokratischen serbischen Opposition und einer Ärztin der Organisation „Ärzte gegen den Atomkrieg“ (IPPNW) ein Ende der Luftangriffe: „Diese Bombardierung ist kontraproduktiv. Sie entstellt das Gesicht und beschädigt die Glaubwürdigkeit der Nato.“
Scharfe Angriffe richtete die IPPNW-Ärztin Gina Mertens an die Adresse des Auswärtigen Amtes, weil es der Darstellung widersprochen habe, das in panzerbrechender Munition verwendete „abgereicherte“ Uran 238 verursache bleibende Schäden. Sie empfinde das als „blanken Zynismus“ und hätte sie sich gerade unter Federführung eines grünen Außenministers „niemals träumen lassen.“ Nach Angaben von Gina Mertens verursacht der Uranstaub, der nach dem Aufprall freigesetzt wird, unter anderem Nierenschäden, Knochentumore, Lähmungen und Schäden bei Embryros.
Die Ärztin erklärte, Gebiete, in denen diese Munition verwendet worden sei, könnten bis auf weiteres nicht bewohnt werden. Sie warf die Frage auf, ob die Bombardierung auf diese Weise nicht die Vertreibung der Bevölkerung des Kosovo zementiere: „Wer von uns möchte auf einer Sondermülldeponie wohnen?“ Schwere Umweltschäden infolge der Nato-Angriffe befürchtet auch die Vorsitzende der jugoslawischen Grünen, die Journalistin Branca Juvanovic. Die Großindustrie in fast ganz Jugoslawien sei „fast vollständig vernichtet“ worden. Dadurch sei eine erhebliche Menge an giftigen und krebserregenden Substanzen freigesetzt worden.
Das volle Ausmaß der Schäden läßt sich nach Angaben von Juvanovic noch nicht abschätzen. Zu Beginn der Nato-Angriffe sei ein petrochemisches Werk in einer Gemeinde nahe Belgrads getroffen worden, in dessen Umgebung schon in Friedenszeiten eine erhöhte Krebsrate festgestellt worden sei. Die Journalistin befürchtet, daß durch die Bombardierung Nervengas freigesetzt worden ist. Auch Teile der Böden seien als Folge der Angriffe umweltverseucht. „Jetzt ist die Zeit des Keimens. In drei bis vier Monaten werden giftige Früchte geerntet.“
Die medizinische Versorgung der Bevölkerung ist infolge der Bombenangriffe „fast zusammengebrochen“, erklärte die jugoslawische Ärztin Miriane Declair. Zahlreiche Patienten könnten nach der Zerstörung von Bücken, Straßen und Schienen ihre Behandlungsorte nicht mehr erreichen. Das gelte auch für ein großes Herz-, Krebs-, und Dialysezentrum in der Nähe der Stadt Novi Sad. Zahlreiche Krankenhäuser seien beschädigt oder völlig zerstört. Darüber hinaus seien die Behandlungsmöglichkeiten wegen fehlender Medikamente oder wegen Strom- und Wassermangels stark eingeschränkt. Miriane Declair betonte, es gebe bei weitem nicht genug Schutzräume für die Bevölkerung. „In manchen Gebieten überhaupt keine.“
Branca Juvanovic zog das Flüchtlingselend im Kosovo nicht in Zweifel: „Die dramatischen Bilder stimmen.“ Zugleich aber beklagte sie, daß über die dramatische Lage in anderen Teilen Jugoslawiens viel zu wenig Informationen verbreitet würden. Ihrer Ansicht nach haben die Nato-Angriffe und die daraus resultierende Verarmung der Bevölkerung die „Voraussetzungen für den Aufbau einer Zivilgesellschaft zerstört“.
Bettina Gaus, Bonn
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen