: Der Messias-Komplex
Schreiben Sie Ihrem Parlamentsvertreter! Bei den Roots gehen Straßenmusikermentalität und HipHop-Consciousness eine einmalige Verbindung ein ■ Von Thomas Winkler
Mit einem Protestbrief drohte der Kolumnist des amerikanischen Rolling Stone-Magazins seinem Kongreßabgeordneten, sollte das Lied „You Got Me“, die aktuelle Single der Roots, nicht die nächste Nummer eins werden. Keine Frage: Auf The Roots können sich fast alle einigen. Sei es das Magazin Vibe, das ihren vierten Longplayer zu nichts weniger als „einem der komplettesten Alben des Jahrzehnts“ erklärte, oder das HipHop-Zentralorgan The Source. Oder eben ein traditionelles Rock-Blatt wie der Rolling Stone. Selbst konservative Tageszeitungen, in denen HipHop sonst vor allem im Zusammenhang mit Bandenkriegen, Drogen und Drive-by-Shootings auftaucht, überschlagen sich. Die WASP-Postille Washington Post lobte ausdrücklich, die Roots böten „eine Alternative zu Materialismus, Misogynie und Gewalt, die immer noch einen Großteil der Szene beherrschen“.
Spätestens hier beginnt es zweischneidig zu werden. Die wohlwollende Aufnahme durchs weiße Establishment versuchen die Gelobten denn auch zu entschärfen. „Wir sind HipHop-Puristen“, betont energisch ?uestlove, der Mann mit dem Fragezeichen im Namen, seines Zeichens Trommler und Wortführer der – je nach Zählweise – bis zu achtköpfigen Combo aus Philadelphia. Und Rapper Black Thought, die andere Hälfte des Roots-Nukleus, stellt klar: „Leute, die glauben, sie mögen keinen HipHop, mögen unsere Musik. Also denken sie, wir würden keinen HipHop spielen. Aber wir sind auch nur eine HipHop-Band.“ Und als solche hat man keine Berührungsängste, selbst Puff Daddy bekommt Respekt. Aus Philadelphia, der „City of Brotherly Love“, zu stammen scheint zu verpflichten.
Es sind ihre Konzerte, die The Roots zum bestgehüteten Geheimnis der letzten Jahre gemacht haben. In einer Zeit, in der eher ein flott geschnittenes Video und knappe Unterwäsche Erfolgsvoraussetzungen sind, spielen sie sich noch ganz altmodisch den Arsch ab. Sie scheinen immer auf Tour zu sein, und ihre Geschichte beginnt stilecht auf dem Bürgersteig der South Street zwischen 5th und 6th Street in Philadelphia. Dort hatten Black Thought und ?uestlove, die sich Ende der 80er, als sie noch Tariq Trotter und Ahmir-Khalib Thompson hießen, auf der Philadelphia Highschool of Creative and Performing Arts kennengelernt hatten, ihre ersten Auftritte als Duo und interpretierten neben eigenen Songs auch aktuelle Rap-Hits. „In der South Street haben wir unsere Erfahrungen gesammelt“, erinnert sich ?uestlove. „Für Straßenpublikum zu spielen ist der ultimative Test. Die zahlen nur, wenn es gut ist. Oder sie beschimpfen dich.“ Im Gegensatz zu fast allen anderen HipHop-Acts funktionieren sie deshalb auch als Live-Band.
„Unser Ziel ist: Rap für denkende Menschen“
Inzwischen ist das Duo zur Band gewachsen, aber immer noch in der Lage, auf der Bühne ohne DJ, Sampler oder DAT-Recorder einen kompletten HipHop-Sound zu produzieren. Im Studio setzen sie zwar digitale Technik ein, aber meistens sampeln sie eh nur Ausschnitte aus den eigenen Jam Sessions. Diese einmalige Verbindung aus Straßenmusikermentalität und HipHop-Consciousness ist technisch möglich, weil die Roots mit Rahzel, dem sogenannten Godfather of Noyze, die momentan beste Human Beatbox im Aufgebot haben. Der kann mit Geräuschen aus seiner Kehle den Beat halten und in der Mundhöhle gleichzeitig Samples oder Scratching reproduzieren.
Längst haben sie den JazzHop-Vorwurf entkräftet, nun wollen sie nichts weniger abgeben als das fehlende Bindeglied zwischen Underground und Mainstream. „Unser Ziel ist, Rap für denkende Menschen zu machen. Aber gleichzeitig geht es uns um die Essenz des wahren HipHop, wie er in der Bronx begonnen wurde“, sagt ?uestlove. Ihr Bedürfnis, „die Scheiße wieder zu reparieren und den Doktor für HipHop zu spielen“, ist so ausgeprägt, daß The Source bereits einen ausgeprägten „Messias-Komplex“ diagnostizierte. Der allerdings scheint auf „Things Fall Apart“ erfolgreich umgesetzt worden zu sein.
The Roots waren auch verantwortlich für einen großen Teil der Produktion von Erykah Badu's „Baduizm“, eine der besten und bestverkauftesten Platten des Jahres 1997. Badu hat sich nun revanchiert mit dem Refrain von „You Got Me“, dem bisher perfektesten Popsong dieses Jahres. Die ebenso gestochenen wie sanften Raps von Black Thought, in denen er die alltägliche wie allgemeingültige Geschichte des Wachsens und Scheiterns einer Liebesbeziehung entwirft, ergänzen sich perfekt mit der melancholischen Stimme von Badu über einem spartanisch entspannten Beat. Eine Welt, in der solch ein Song nicht die Spitzen der Charts stürmt, kann keine gerechte Welt sein. Grund, einen Brief an seinen Bundestagsabgeordneten zu schreiben.
The Roots: „Things Fall Apart“ (MCA/Universal)
Tour: 30. 4., Hamburg; 1. 5., Berlin; 2. 5., Köln; 10. 5., München; 11. 5., Frankfurt
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