: Lebenslang für Andreotti gefordert
Der siebenmalige Ministerpräsident soll 1979 den Mord an einem unbequemen Journalisten in Auftrag gegeben haben. Viele Politiker stehen auf seiner Seite ■ Aus Rom Werner Raith
Selbst in der düstersten Stunde seines Lebens bleibt er ironisch: „Was wollen Sie“, fragt er, „wenn der Staatsanwalt von meiner Schuld überzeugt ist, kann er doch gar nichts anderes fordern als ,lebenslänglich‘.“ In der Tat: Nach vielen Stunden Plädoyer haben die Staatsanwälte Fausto Cardella und Alessandro Cannavele im Strafprozeß gegen Giulio Andreotti, 80, und fünf weitere Mitangeklagte – darunter sein langjähriger engster Mitarbeiter Claudio Vitalone und zwei Mafia-Bosse – die Höchststrafe gefordert. Andreotti soll über Vitalone an die damals in Rom tätige „Banda della Magliana“, einen Ableger sizilianischerMafia-Gruppen, herangetreten sein und die Ermordung Mino Pecorellis in Auftrag gegeben haben. Pecorelli galt als einer der bestinformierten Enthüllungsjournalisten Italiens und leitete die Zeitschrift O.P. Er wurde ermordet, als er mit einer Titelgeschichte – „Alle Schecks des Ministerpräsidenten“ – über die Korruptionsaffären des damaligen Regierungschefs Giulio Andreotti herauskommen wollte; nach seiner Ermordung verschwand die Nummer spurlos. Des weiteren hatte Pecorelli die Veröffentlichung von Papieren aus der Zeit der Entführung und Ermordung des christdemokratischen Parteichefs Aldo Moro angekündigt, die Andreotti schwer belasteten.
Daß Andreotti angeklagt wurde, rührt aber nicht nur von einer logischen Deduktion des altbekannten kriminalistischen Prinzips „Cui bono“ – Wem nützt es? – her. Hunderte andere Politiker, Beamte und Mafiosi hatten allen Grund, Pecorelli zu fürchten. Mehrere unabhängig voneinander aussagende Mafia-Aussteiger hatten jedoch bereits Ende der 80er Jahre angedeutet, daß Andreotti sich nicht nur gerne von Mafia und Camorra dirigierte Wählerstimmen gefallen lasse, sondern noch wesentlich enger mit den großen „Familien“ verbandelt sei. Tatsächlich hat in einem parallel laufenden Prozeß in Palermo die Anklage bereits fünfzehn Jahre Gefängnis für Andreotti wegen mafioser Bandenbildung gefordert. Das Urteil wird in den nächsten Tagen erwartet. Zwei Ex-Mafiosi behaupten zudem, von dem Mordauftrag Andreottis gewußt zu haben.
Ein Aufschrei des Entsetzens hat den Strafantrag in Perugia begleitet: Nahezu unisono solidarisieren sich die Politiker Italiens mit dem bisher als Stehaufmännchen bekannten Andreotti. Die Anklage sei allenfalls „eine Hypothese, kein Beweis“, urteilt der linksdemokratische Senator Pellegrino; von einem „Skandal unerhörten Ausmaßes“, sprechen die Ex-Christdemokraten. „Warum nicht gleich die Todesstrafe?“ fragt aus seinem Exil der selbst wegen Korruption verurteilte frühere Regierungschef Bettino Craxi. Aber selbst Andreotti abgeneigte Leitartikler wie Giorgio Bocca wägen die Strafforderung vorsichtig ab: „Lebenslänglich für einen Mann zu fordern, der ein halbes Jahrhundert lang das lebende Symbol einer derart selbstsicheren Machtausübung war, daß er auf jede Art von Anklage immer nur mit Ironie und Zynismus antwortete, ist schon etwas, das unsere Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttert.“ Lediglich der Sohn des 1982 von der Mafia ermordeten Präfekten Carlo Alberto dalla Chiesa, Nando, steht zum Strafantrag: „Andreotti war jahrzehntelang der Bezugspunkt der Mafia in Rom“: Er vermutete bereits 1984 in einem Buch, daß auch sein Vater auf Anregung Andreottis umgebracht worden sein könnte. Die Papiere, die der Journalist Pecorelli gegen Andreotti in der Hand hatte, stammten wohl von Carlo Alberto dalla Chiesa, denn dieser hatte bis 1981 den Kampf gegen die Roten Brigaden geleitet.
Auch wenn Andreotti in dieser ersten Instanz verurteilt werden sollte: Passieren wird ihm, zu Lebzeiten, nicht viel. Bis der Instanzenweg erschöpft ist, vergehen in Italien in der Regel mehr als zehn Jahre. Und wer würde einen 90jährigen noch einlochen?
Kommentar Seite 11
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