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Lehrer ab ins Sozi?

■ Sind Bremens 800 Volkshochschullehrer alle scheinselbständig? Einer von ihnen sagt: Ja. Und fordert jetzt seine Festanstellung.

Stefan Göhlich* hat der Bremer Volkshochschule einen Brief geschrieben: Der Bildungsträger möchte ihm jetzt bitte seine feste Anstellung geben. Mit Arbeitsminister Riesters (SPD) Gesetz zur Scheinselbständigkeit stände die ihm ja nun zu.

Eigentlich, findet der graubärtige Deutschlehrer, steht ihm die Stelle ja schon seit 15 Jahren zu. Solange nämlich vermittelt er schon Gastprofs und Aupair-Mädchen in der VHS das nötige Alltagsdeutsch. IUnd wenn er noch auf ein paar Rentengroschen kommen will, wird's jetzt höchste Zeit für ihn. Ganze zwei Lebensjahre nämlich war der Mann mit den flinken Augen bisher sozialversichert – den Rest seines Arbeitslebens war er selbständig. Oder besser: Scheinselbständig.

Selbst auf seiner Einkommenssteuererklärungen notierte Göhlich immer dieses schillernde Wort – wußte er doch schon im Voraus: Bei 15 Wochenstunden Arbeit und 30 Mark Honorar kommt am Ende sowieso immer nur eine glatte Null als Einkommenssteuer heraus.

Seit dem 1. April steckt der Deutschlehrer nun in der gleichen Zwickmühle, wie die Putzfrauen, Fernfahrer, Kellner, die derzeit zum Thema „630-Mark-Gesetz und Scheinselbständigkeit“ über die Bildschirme flimmern. Und wie diese weiß auch Stefan Göhlich nicht, ob Walter Riesters Gesetz ihn in die Sozialhilfe drängt oder ob er gar endlich den Himmel der Sozialversicherten erklimmt. Erstmal zumindest war Stefan Göhlich versucht, die Chose einfach hinzuschmeißen und ins Sozi abzuwandern. Und auch im Kreise seiner Kursleiter-Kollegen herrscht noch heute ehereine allgemeine Katerstimmung vor: „Der Volkshochschul-Verband hat angekündigt, daß die Sozialversicherung voll von unserem Stundenlohn abgezogen wird“, so eine Kollegin aus dem Bremer Kursleiter-Rat.

Nun, immerhin ist auch die VHS an die BAT-Tarife im öffentlichen Dienst gebunden, sagt sich Göhlich und hat sich's überlegt: Er pocht jetzt auf seine neuen Ansprüche – und so neu sind die ja auch gar nicht. Schon seit langem kämpfen Kursleiter-Räte für ihr Recht auf Festanstellung. Immer mehr von ihnen betreiben freie Bildungsarbeit als Hauptberuf – wirtschaftlich abhängig vom Auftraggeber, dem sie ihre ganze Arbeitskraft zur Verfügung stellen. Die beiden Hauptkriterien für Scheinselbständigkeit sind damit schon erfüllt – und wenn die Kursleiter dann auch noch mit in den Beratungen, gar Prüfungen sitzen, dann steht der Zug gen Festanstellung eigentlich längst unter Dampf. Riesters Gesetz hat hier nur die Beweispflicht umgekehrt: Beweisen müssen Goethe-Institute, belladonna oder Volkshochschulen seit dem 1. April, daß ihre Lehrer nicht selbständig sind.

„Von der Romanistikstudentin, die nebenberuflich Französisch unterrichtet, bis zum arbeitslos gemeldeten Yogalehrer muß da jeder Fall einzeln betrachtet werden“, sagt Horst Rippien, der Leiter der Bremer Volkshochschule. Weniger als fünf Prozent seiner Lehrer, so schätzt er, seien durch Riesters Gesetz betroffen. Grundsätzlich aber sind selbstverständlich „alle Volkshochschullehrer von dem Gesetz betroffen“ bestätigt eine Sprecherin des Arbeitsministers auf Nachfrage. Hochgerechnet könnte das die öffentliche Hand teuer zu stehen kommen: Für seine rund 800 freien Mitarbeiter an den Volkshochschulen würde die Stadt Bremen 600.000 Mark Sozialversicherung berappen. Jedes Jahr. Der Deutsche Volkshochschulverband hat deshalb für Mitte Mai ein Gutachten in Auftrag gegeben – und Bildungsministerin Buhlman (SPD) signalisiert: Die Weiterbildungs-Institute wären von dem Gesetz nicht betroffen.

Die Chancen für Stefan Göhlichs Wunsch nach Festanstellung stehen also nicht besonders gut. Immerhin: Eine starke Lobby hat er auf seiner Seite: die Sozialkassen. Die Barmer überprüft seinen Falljetzt in ihrer Rechtsabteilung. Und Klaus Anker von der Bremer AOK betont: Das Risiko liegt zur Zeit bei den Auftraggebern. „Die Auftraggeber – Spediteure, Gastronome, Volkshochschulen – müssen uns alle zweifelhaften Fälle ungefragt melden. Wenn sie das nicht tun,steht in zwei, drei Jahren der Rentenversicherungsträger bei ihnen vor der Tür – und das kann dann richtig teuer werden.“

Die Auftraggeber aber zögern derzeit trotzdem noch und warten erstmal ab. Hat doch Kanzler Schröder seinem Arbeitsminister Nachbesserung anempfohlen. Mal sehen, heißt es, was die Beratungen in Riesters Arbeitsgruppe ergeben. „Bei der Bremer AOK liegen derzeit gerade mal 50 Meldungen aus den Unternehmen vor“, so Klaus Anker: „Da haben wir schon reagiert“ – und den betroffenen Arbeitnehmern zwecks Prüfung einen Fragebogen zugeschickt. Viel Hoffnung aber will Klaus Anker Stefan Göhlich und seinen VHS-Kollegen trotzdem nicht machen: „Die Geschichte mit den Dozenten ist noch nicht in trocknen Tüchern. Da erwarten wir aus Bonn Ende Mai erste Ergebnisse.“ ritz

* der Name wurde von der Redaktion geändert

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