: Unerwünschte Konkurrenz
Nach 20jährigem Ringen ist das Psychotherapeutengesetz in Kraft getreten. Psychologen befürchten, daß sie durch die Hintertür vom Markt verdrängt werden ■ Von Martin Kaluza
wanzig Jahre hatten die Debatten um das Psychotherapeutengesetz gedauert. Seit es am 1. Januar 1999 in Kraft getreten ist, darf ein Patient mit seiner Versicherungskarte direkt zum Psychotherapeuten gehen und sich ohne Zuzahlung behandeln lassen – nach fünf Sitzungen muß lediglich ein Arzt prüfen, ob nicht ein organisches Leiden vorliegt.
Doch das Gesetz, das die Patienten vor Scharlatanen schützen und die Versorgung verbessern soll, bleibt nicht ohne Nebenwirkungen. Erfahrene Psychotherapeuten sehen sich in ihrer Existenz bedroht, zum einen, weil bewährte Therapierichtungen nicht anerkannt werden. Zum anderen müssen sie, wollen sie die Berufsbezeichnung offiziell führen, sich einem Zulassungsverfahren unterziehen, bei dem nicht nur Scharlatane, sondern auch seriöse Therapeuten mit jahrzehntelanger Berufserfahrung ausgesiebt werden.
Beide Hürden führt der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) nicht zuletzt darauf zurück, daß in den entscheidenden Gremien der Einfluß der Ärzte zu stark sei. Das Psychotherapeutengesetz schafft einen eigenständigen Heilberuf, der dem der Ärzte im Prinzip gleichberechtigt ist – und damit Konkurrenz.
Auch Ärzte können, bei entsprechender Zusatzqualifikation, als Psychotherapeuten anerkannt werden (siehe Kasten). Im Gegensatz zu den psychologischen Psychotherapeuten konnten sie die Therapien schon vor der neuen Regelung per Krankenschein oder Karte abrechnen. Der BDP ist der Ansicht, daß Psychologen von der Kassenabrechnung bewußt ausgesperrt werden, und fordert Interventionen der Politik: Die Zulassungsausschüsse, die mehrheitlich mit Vertretern aus Krankenkassen und ärztlichen Psychotherapeuten besetzt seien, verweigerten in vielen Fällen psychologischen Psychotherapeuten die Zulassung, obwohl diese die vom Gesetzgeber geforderten fachlichen Qualitätsnachweise und die geforderte Berufserfahrung nachweisen könnten. BDP-Präsident Lothar Hellfritsch schließt daraus: „Psychologische Psychotherapeuten sollen durch die Hintertür vom Markt verdrängt werden.“
In vielen Fällen sei die Zulassung nicht erteilt worden mit der Aufforderung, laufende Behandlungen abzubrechen. So wurden in Hamburg 40 Prozent der Anträge abgelehnt, in Westfalen-Lippe über 50 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern waren es knapp 50 Prozent. Bis Ende April sollen die Zulassungsausschüsse über alle Anträge entschieden haben. Karl-Otto Hentze, Bundesvorsitzender des Verbandes Psychologischer Psychotherapeuten, hat selbst trotz langer Berufserfahrung Probleme mit der Zulassung: „Ich bin jetzt 60 und habe 25 Jahre in eigener Praxis gearbeitet, bezahlt von allen Kassen. Das hat dem Ausschuß noch nicht gereicht, meine Zulassung wurde vertagt.“
Zudem kritisieren Psychologen, daß bestimmte therapeutische Verfahren nicht den Schutz des neuen Gesetzes genießen. Zwar erhöht sich die Anzahl der von den gesetzlichen Krankenkassen anerkannten Therapeuten, und der Patient hat so gesehen ein größeres Angebot zur Auswahl. Doch gilt dies nur für ein begrenztes Spektrum von sogenannten Richtlinienverfahren. Welche Verfahren nun als wissenschaftlich anerkannt werden, steht nicht im Psychotherapeutengesetz, sondern wird (wie bei allen medizinischen Methoden) vom Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen festgelegt. Als Richtlinienverfahren wurden die Psychoanalyse, die Verhaltenstherapie und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie festgelegt. Hingegen werden andere durchaus bewährte Methoden wie die Gestalttherapie, die systemische Familientherapie, die Gesprächstherapie und das Psychodrama von den Kassen nicht übernommen, wenn die Behandlung ambulant erfolgen soll. In der stationären Versorgung hingegen werden sie weiterhin eingesetzt. Das ist möglich, weil in Kliniken pauschal nach Tagessätzen abgerechnet wird. BDP-Sprecher Hans-Werner Drewe erklärt: „In den stationären Einrichtungen wird danach gehandelt, was als wirksam anerkannt ist.“
Chritoph Röger, Dezernent für Psychotherapie beim Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen, räumt ein, daß einige Verfahren dem Zeitdruck zum Opfer fielen: „Wir hatten für die Richtlinien ein halbes Jahr Zeit. Um das System am Laufen zu halten, haben wir zunächst die Verfahren aufgenommen, die schon früher anerkannt waren.“ Eine Debatte um andere Theorierichtungen sei im Prinzip nicht ausgeschlossen. Zudem verweist Röger darauf, daß in den Richtliniengremien für Psychotherapie genauso viele Psychotherapeuten wie Ärzte vertreten sind. Karl-Otto Hentze rechnet allerdings damit, daß allenfalls die international verbreitete Gesprächstherapie in Zukunft eine Chance hat: „Damit den Gremien niemand vorwerfen kann, es würde sich gar nichts tun.“
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